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Schach in Zeiten der Pandemie

Elisabeth Pähtz ist Deutschlands beste Schachspielerin und erzählt in ihrem Buch, wie sie sich als Frau in einer noch immer männerdominierten Schachwelt durchgesetzt hat und weiter für mehr Gleichberechtigung in ihrem Sport kämpft. Sie berichtet von der Faszination des Spiels, von völkerverbindenden Freundschaften, von großen Siegen wie von schmerzhaften Niederlagen und nicht zuletzt auch vom Schachspielen in Zeiten der Pandemie – für Profis teilweise deutlich komplizierter als für Hobbyspieler und Damengambit-Netflixgucker …

Seit März 2020 leben wir alle in einer anderen Welt. Mit dem ersten Lockdown wurde auch in Deutschland der »Krieg gegen das Virus« ausgerufen und von einem auf den anderen Tag war alles weg: Es gab keine Turniere mehr, es gab keine Einnahmen mehr und auch in Deutschland wurden garantierte Grund- und Freiheitsrechte mit Ausgangssperren und Kontaktverboten deutlich eingeschränkt. Es gab in dieser Zeit Tage, da bin ich morgens aufgewacht und dachte, ich lebe in einem anderen Land. In einem Land, das ich so bisher nicht kannte. Plötzlich kamen da einige längst vergessene Gefühle in mir hoch. In den Zeiten des real existierenden DDR-Sozialismus war ich zwar Noch ein Kind, aber ich habe noch eine Ahnung von diesem staatlich verordneten Lebensgefühl: bloß nicht zu viel selber denken und ansonsten die Klappe halten. »Die da oben«, der Staat und die Partei, die wissen schon, was gut für uns ist.

Für mich fühlten sich die Maßnahmen zum Infektionsschutz wie eine Entmündigung an und fast noch mehr hat mich erschreckt, wie diese Maßnahmen Oder der Nutzen von Impfstoffen diskutiert und hier in unserem Land verhandelt wurden. Gefühlt gab es plötzlich nur noch Gut oder Böse, Richtig oder Falsch, Schwarz oder Weiß. Extreme Polarisierung statt sachlicher Debatte. Ich kenne mich ziemlich gut aus in schwarz-weißen Welten. Doch im Schach gibt es keine Denkverbote. Im Gegenteil: Zum Wesen dieses Spiels gehört es, alles zu hinterfragen und jede neue Spielsituation zu analysieren, bevor eine Entscheidung für den nächsten Zug getroffen wird. Wir verlassen uns dabei auch nicht auf den ersten oberflächlichen Blick beim Betrachten einer scheinbar klaren Stellung. Denn wir wissen, die gemeine Falle lauert selten gleich hinter der nächsten Ecke. Dafür muss man tiefer graben und womöglich nicht nur hinter die übernächste, sondern noch um viele Ecken weiter schauen. Beim Schach versuchen wir, das scheinbar so Offensichtliche zu durchdringen, um den dahinterstehenden Plan unseres Gegenübers zu erkennen. Denn dieses Gegenüber ist während einer Schachpartie kein Freund, sondern der Gegner, der dich matt setzen und besiegen will.

Systemische Skepsis gehört zu den Grundtugenden eines jeden Schachspielers. Weshalb uns ja gerne auch eine Nähe zur Paranoia unterstellt wird. Es gibt in der Schachgeschichte tatsächlich einige exzentrische Beispiele zu diesem Thema wie Paul Morphy oder Bobby Fischer. Beide waren zu ihrer Zeit geniale Schachspieler und entwickelten in ihrem späteren Leben deutliche Anzeichen von pathologischem Verfolgungswahn. Mein persönliches Lebensgefühl in dieser Zeit hatte aber nichts mit Paranoia zu tun. Ich war in großer Sorge und bin es immer noch, weil ich bis heute das Gefühl nicht loswerde, dass sich die Vernunft in Teilen aus unserer Welt verabschiedet hat. Vielleicht reagiere ich da ja etwas sensibel, aber ich bin eine vom Schachspiel trainierte Nachdenkerin, die grundsätzlich alles analytisch angeht. Hinzu kommt, dass in meiner Ossi-DNA ein kritischer Blick und ein gesundes Misstrauen gegenüber allen staatlich verordneten Maßnahmen manifestiert ist. Und das scheint nicht nur bei mir der Fall zu sein. Mich hat es jedenfalls nicht gewundert, dass die Impfquoten in den östlichen Bundesländern viel niedriger ausgefallen sind als im Westen.

Ich bin keine Virologin und auch keine Besserwisserin, aber für einen logisch denkenden Menschen war die Sinnhaftigkeit so mancher beschlossener Maßnahmen und Corona-Regeln schwer nachzuvollziehen. Wenn ich privat in der Apotheke ein Medikament besorge, dann lese ich, bevor ich es einnehme, den Beipackzettel und mache mich auch über die Nebenwirkungen kundig. Auch in allen anderen Lebensbereichen, die mich betreffen, lese ich die Beipackzettel und gerne auch das Kleingedruckte. Das hat nichts mit übertriebener Vorsicht zu tun, sondern ist dieser klassische Schachreflex: die Dinge gründlich durchdenken. Wenn mich also ein Medikament nicht überzeugt, dann nehme ich es nicht und berate mich gegebenenfalls mit meinem Arzt. Diese Entscheidung steht mir als freie Bürgerin zu. Bei Corona war das plötzlich anders. Menschen, die Angst vor der Impfung hatten, wurden von Politik und Medien sehr schnell als unsolidarische Impfverweigerer diskreditiert oder gleich in die Verschwörerecke abgeschoben. Es gab zwar in Deutschland keine allgemeine Impfpflicht, aber spätestens mit Einführung der 2G-Regel wurden Ungeimpfte aus weiten Teilen des öffentlichen Lebens ausgeschlossen und das betraf immerhin rund ein Viertel der Bevölkerung. Mich hat die extrem polarisierte gesellschaftliche Debatte zu diesem Thema sehr belastet und mich haben die Auswirkungen traurig gemacht, die ich bis in den privaten Bereich gespürt habe. Dort musste ich erleben, dass Freundschaften und Ehen gelitten oder auseinandergebrochen sind, weil sich beide Seiten in ihren Positionen so unversöhnlich gegenüberstanden.

Ich hatte in den ersten Lockdownwochen noch Hoffnung: Eine Pandemie, also ein Ereignis, das weltweit alle Menschen betrifft, könnte ja, so dachte ich, auch die große Chance sein, einmal zu beweisen, dass wir als Menschheit fähig und in der Lage sind, ein globales Problem auch gemeinschaftlich und solidarisch zu bewältigen. Eine schöne Vorstellung. Doch inzwischen weiß ich, dass die Weltgemeinschaft in dieser Hinsicht leider schwer versagt hat. Auch in meiner Schachwelt habe ich Dinge erlebt, die ich als Sportlerin unerträglich fand und die auch meine persönliche Motivation stark beeinträchtigt haben. Als hier in Deutschland die 2G-Regel eingeführt wurde, konnten unsere russischen, kasachischen oder georgischen Spielerinnen nicht mehr in der Bundesliga mitspielen, weil sie angeblich falsch geimpft waren. Oder sie waren mit dem richtigen Impfstoff, aber im falschen Land geimpft worden. Ich kenne einen Kollegen aus Aserbaidschan, der mit Biontech geimpft war, doch sein Impfzertifikat wurde hier nicht anerkannt. Man hat ihm quasi unterstellt, dass ein Zertifikat aus Aserbaidschan gefälscht sein muss. Eine Kollegin aus Georgien wollte mit einem dort ausgestellten Genesenen-Zertifikat in Frankreich spielen, aber ihr Zertifikat wurde von der französischen Regierung nicht akzeptiert und so musste sie sich täglich kostenpflichtig testen lassen. Von einer Kollegin aus Kasachstan weiß ich, dass dort die Regel galt, wenn du nicht mit Sputnik geimpft bist, darfst du nicht arbeiten. Sputnik war dort der wissenschaftlich zertifizierte wie staatlich empfohlene Impfstoff und die Voraussetzung dafür, dass man sich frei bewegen und seinem Job nachgehen konnte. Doch in Deutschland wurde ihre Impfung, zu der es in ihrem Heimatland keine Alternative gab, nicht anerkannt. Statt globaler Solidarität war also eher internationale Ausgrenzung angesagt.

Ein extremes Beispiel dafür war auch die Einladung zu dem Cairns Cup 2021 in St. Louis, die an viele der Top-Spielerinnen ging. Das Turnier war mit einer Siegprämie von rund 40 000 Dollar sehr hoch dotiert und die Amerikaner haben zunächst den Impfstatus der eingeladenen Teilnehmer abgefragt. Danach wurde das Turnier um zwei Monate verschoben, um, so die Veranstalter, allen Spielerinnen noch die Möglichkeit einzuräumen, sich mit dem »richtigen« Impfstoff impfen zu lassen. Sie hatten nämlich mit Blick auf die Weltrangliste feststellen müssen, dass dort auf den vorderen Plätzen vor allem Spielerinnen aus Russland, China, der Ukraine oder Indien zu finden waren, also alles Länder, die im Kampf gegen das Virus auf den russischen Sputnik- und den chinesischen Sinovac-Impfstoff gesetzt haben. Womöglich haben die Veranstalter die Turnierverschiebung von ihrer Seite aus als großzügige Geste wahrgenommen. Ich fand das anmaßend. Was die Amerikaner, aber in anderen Fällen auch die EU oder Australien, diesen Spielerinnen und Spielern aus den immerhin größten und bevölkerungsreichsten Ländern dieser Erde zu verstehen gegeben haben, war: Wir vertrauen euren Wissenschaftlern und ihren Forschungsergebnissen nicht. Die Solidarität, die ihr im Kampf gegen das Virus mit einer Sinovac- oder Sputnik-Impfung bewiesen habt, erkennen wir bei uns nicht an, denn unsere Solidarität heißt Moderna oder Biontech. Sollten sich diese Spielerinnen, die sich in ihren Ländern und nach den dort für richtig erachteten Spielregeln hatten impfen lassen, jetzt in ein Flugzeug setzen, um irgendwo noch eine Dosis vom »richtigen« Impfstoff aufzutreiben? Ich weiß tatsächlich von einem ägyptischen Schachkollegen, der eigens nach Dubai gejettet ist, um sich mit Biontech impfen zu lassen. Aber wer bitte schön kann sich das leisten? Und was hat das noch mit medizinisch verantwortungsvollem Handeln zu tun? Das ist doch wirklich eine kranke Welt. Statt die Impfstoffe aus anderen Ländern anzuzweifeln, hätte die Organisatoren ja auch beschließen können, dass alle Spielerinnen und Spieler mit einem negativen Test einreisen können und vor Ort zusätzlich getestet werden müssen. So aber hat man die Spieler nicht nur an der Ausübung ihres Berufes gehindert, sondern auch die Traditionen, Wissenschaft oder Kulturen in ihren Heimatländern diskreditiert. Ich kann schon verstehen, wenn Spielerinnen und Spieler aus diesen Ländern das als typisch westliche Arroganz verstanden haben, zumal es umgekehrt kein Problem war, mit einem negativen Test für ein Turnier zum Beispiel nach Russland einzureisen.

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