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Wohnen wird zum Luxusgut

Die Wohnungsfrage ist die soziale Frage unserer Zeit. Doch statt sie anzugehen, werden Fehlentwicklungen systematisch politisch gefördert. Wohnungen sind zu reinen Spekulationsobjekten verkommen. Dies lässt die Mieten explodieren und zwar nicht nur in den Großstädten, sondern auch im Umland. Menschen werden aus jahrzehntelang gewachsenen, sozialen Strukturen gerissen, gentrifizierte Viertel zu Soziotopen der Besserverdienenden. Wie konnte es soweit kommen? Warum unternimmt die Politik so wenig, um Mietenwahnsinn und Spekulation endlich zu stoppen? Und was muss getan werden, damit Wohnen endlich wieder bezahlbar wird? Caren Lay nimmt in ihrem Buch „Wohnopoly“ die deutsche Wohnungspolitik schonungslos unter die Lupe, zeigt auf, wie und warum Deutschland zum Eldorado für Wohnungsspekulation werde konnte, spürt der Macht der Lobby nach und liefert provokante Ideen für eine soziale Wohnungspolitik, die wir so dringend brauchen.

Früher hatte ich ein WG-Zimmer in Berlin Kreuzberg. In einer Nachbarschaft, in der die Mieten jahrzehntelang günstig waren, in der Rentner*innen, Student*innen, Arbeiter*innen und sehr viele Migrant*innen lebten. Kreative aus aller Herren Länder bereicherten die Nachbarschaft: Für wenig Geld in einer Hauptstadt leben, wo geht das sonst? Doch in den Nullerjahren geriet die bunte Mischung unter Druck. Das unsanierte und regelrecht heruntergekommene Haus wechselte in kurzer Zeit mehrfach den Besitzer. Statt einer kaltschnäuzigen, aber immerhin erreichbaren Hausverwaltung im Berliner Westen hatte man es plötzlich mit Briefkastenfirmen zu tun, hinter denen dubiose Adressen standen. Das Haus gammelte weiter vor sich hin, Reparaturen wurden nicht erledigt. Aber Mieterhöhungen wurden versandt, alteingesessene Mieter*innen herausgeklagt, Inkassofirmen klopften an die Haustür. Zuerst waren diejenigen dran, die sich am wenigsten wehren konnten: verarmte Rentner*innen und Migrant*innen. Auf Kiezversammlungen erfuhr ich: Das ist kein Einzelfall. Der ganze Stadtteil war ins Visier internationaler Immobilienspekulation geraten.

Diese Erfahrung war mir eine Lehre und sie ist es bis heute. Als ich in den Bundestag gewählt und Bundesgeschäftsführerin meiner Partei wurde, forderte ich bereits 2011 eine »mietenpolitische Offensive«, um derart aggressive Entmietungspraktiken zu unterbinden und den Sozialen Wohnungsbau wieder anzukurbeln. Ich stieß damit zunächst auf wenig Gegenliebe, ja fast Unverständnis. Wohnungspolitik war zu dieser Zeit kein Thema. Im Bundestag wurde es bestenfalls im Schutze der Nacht verhandelt, es galt als unwichtiges Nebengleis. Ausschließlich aus den Metropolen Berlin, Hamburg, München und Frankfurt gab es Zuspruch, weil sich dort die Probleme häuften. Doch dann ging es Schlag auf Schlag. Wie ein Lauffeuer breiteten sich Spekulation und Mieterhöhungen in der ganzen Republik aus. Nur wenige Jahre später bekam ich Hilferufe aus Passau und Dinslaken, aus Schwäbisch Gmünd und Greifswald.

Die Mietpreise in den Städten klettern steil nach oben. »Immobilienboom«, frohlockt die Finanzwelt. »Mietenwahnsinn«, sagen Aktivist*innen. Er hat das ganze Land erreicht. Wer sich eine neue Wohnung suchen muss, kann sich auf eine gesalzene Rechnung gefasst machen. In nur sechs Jahren, zwischen 2015 und 2021, stiegen die Preise für neue Mietverträge in Berlin um 44, in Heidelberg um 41 und im ohnehin schon teuren München um 32 Prozent. Das alles wäre verkraftbar – doch den exorbitanten Mietsteigerungen steht eine Steigerung der Bruttolöhne von grade einmal elf Prozent gegenüber. Am Ende des Monats zählt, was übrigbleibt. Der rasante Mietenanstieg bedeutet faktisch eine Lohnkürzung, eine schleichende Umverteilung von unten nach oben. Im Ergebnis muss ein immer größerer Teil des Einkommens für Wohnen ausgegeben werden. Wir empören uns heute gerne über die feudale Gesellschaft, in der die Grundstückspächter den Zehnten, also zehn Prozent des Einkommens, an den Fronherren abtreten mussten. Davon können Mieter*innen heute nur träumen. Die halbe Republik gibt bereits über dreißig Prozent des Einkommens fürs Wohnen aus. Es ist heute keine Seltenheit mehr, vierzig oder sogar fünfzig Prozent für das Wohnen zu bezahlen.

Auch auf dem Wohnungsmarkt gilt: Die Schwächsten beißen die Hunde. Ärmere Haushalte geben heute entweder das ganze Geld für die Miete aus oder sie müssen einer wohlhabenderen Klientel weichen. In vielen Städten hat eine solche Verdrängungswelle schon stattgefunden, ist das innerstädtische Wohnen für Geringverdiener*innen nur noch dann leistbar, wenn sie einen alten Mietvertrag haben oder das Glück, in einer der wenigen Sozialwohnungen zu wohnen. Diejenigen mit mehr Geld verdrängen andere mit weniger Geld. Gentrifizierung wird das genannt. Längst sind auch die Mittelschichten dran: Wo früher Geld übrig war für Urlaub und Anschaffungen, vielleicht sogar ein Eigenheim, bleibt vielen nichts weiter übrig, als das halbe Leben für die Mietkosten zu malochen. Wohnen wird für immer mehr Menschen unbezahlbar. Wohnen ist nicht nur die soziale Frage Unserer Zeit. Wohnen ist die neue Klassenfrage.

Auch der Traum vom Eigenheim rückt in weite Ferne: Die Preise für Eigentumswohnungen stiegen seit 2015 um über 56 Prozent, die Preise für Häuser seit dem Jahr 2000 um 84 Prozent. Das Aufstiegsversprechen der alten Bundesrepu­blik, dass man sich mit harter Arbeit und bescheidener Lebensführung das eigene Häuschen erarbeiten kann, ist für viele dahin.

Diese Entwicklung schlägt sich im Stadtbild nieder. Sicherlich hat es schon immer Stadtviertel gegeben, in denen Arme, und andere, in denen die besser Betuchten gelebt haben. Tragisch ist, dass die Situation sich verschlechtert. Soziale Durchmischung war gestern. Das Gesicht ganzer Stadtteile wandelt sich, seitdem mit Wohnungen wie mit Waren gehandelt wird.

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