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Krieg und Frieden im Fußball – die Geschichte des Walther Bensemann

Spätestens seitdem Sportgroßveranstaltungen in Länder mit fragwürdigem Demokratie- und Menschenrechtsverständnis vergeben werden, heißt es von den Profiteuren dieser Kommerzspektakel stets, man müsse Sport und Politik fein säuberlich voneinander trennen. Nun steht die umstrittene Fußball-WM 2022 in Katar vor der Tür. Höchste Zeit, um endgültig mit dem Mythos vom unpolitischen Fußball aufzuräumen. In einer materialreichen Tour de Force durch die Geschichte des Fußballs zeigen Klaus-Dieter Stork und Jonas Wollenhaupt, dass der Fußball schon immer von einer politischen Dialektik geprägt war. Einerseits ist er nationalistisch, militaristisch und kommerziell, andererseits aber auch international, progressiv und kreativ. Dieses Buch erzählt vom Zweikampf zwischen rechts und links, auf dem Rasen und davor.

Selbst in den schrecklichsten Momenten der Menschheit wurde Fußball gespielt. In einigen wenigen Momenten hat die Anziehungskraft des runden Leders sogar Kriege unterbrochen. Aber es gab auch Momente, in denen ein Fußballspiel zum Krieg führte, wie zwischen Honduras und El Salvador 1969.

In Deutschland ist der Kampf zwischen Militarisierung des runden Leders und seiner friedensstiftenden Kraft untrennbar mit der Geschichte von Walther Bensemann verbunden. Seine Kindheit verbrachte er in der Schweiz, wo er den Fußball kennenlernte. Zurück in Deutschland, gründete er Ende des 19. Jahrhunderts in ganz Deutschland Vereine, organisierte die Infrastruktur und erste Freundschaftsspiele. Das brachte ihm aber in der Turnernation Deutschland viel Gegenwind ein. Der »Engländer in Narrentracht«, wie er in Karlsruhe genannt wurde, musste gegen die Übermacht des Turnsports antreten. Aber auch im jungen Fußballsport gab es Widerstand. Bensemann positionierte sich politisch. Der Fußball biete die Möglichkeit, »Stände zu überwinden« und er sei »das Bemühen, die Begriffe der Freiheit, der Toleranz, der Gerechtigkeit im inneren Sportsleben, des Nationalgefühls ohne chauvinistischen Beigeschmack dem Auslande gegenüber zu wahren«. Nicht jedem gefiel das.

Bensemann wollte den weltoffenen Fußball und bald folgte der Theorie die Praxis: Schon 1893 organisierte er die ersten internationalen Auswahlspiele. Das erste Spiel auf deutschem Boden fand am 7.10.1893 statt: Villa Longchamp aus der Schweiz gegen eine süddeutsche Auswahl. Weitere folgten. Allein gegen Mannschaften aus dem Ausland zu spielen, war einigen Konservativen ein Dorn im Auge. Stark beeindruckt vom englischen Fairplay, dem Toleranz-Gedanken und dem Sportmannsgeist trieb Bensemann den Fußball als politisches Projekt immer weiter voran. Überall, wo er auftauchte, gründete der Kosmopolit Vereine. Darunter die Vorläufervereine des FC Bayern München, Eintracht Frankfurt oder den 1. FC Nürnberg.

Mit dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs hatte sich der deutsche Fußball endgültig gespalten. Auf der einen Seite der süddeutsche liberale Fußball mit Pionieren wie Bensemann und auf Der Anderen Seite der nationalistisch-militaristische Fußball. So schrieb der Norddeutsche Fußball-Verband 1914: »Durch den Sport wurdet ihr für den Krieg erzogen, darum ran an den Feind, auf ihn und nicht gezittert.« Ironischerweise brachten der Krieg und die Soldaten den Fußball erst wirklich nach Deutschland. Der Erste Weltkrieg stärkte Bensemanns skeptische Haltung zu allem Nationalen: »Auf den Geburtsort eines Menschen kommt es so wenig an, wie auf den Punkt, von wo er in den Hades fährt.«

Bensemann begann eine zweite Karriere als Journalist. 1920 gründete er den Kicker. Sein Anliegen war für ihn nicht weniger als »ein Symbol der Völker-Versöhnung durch den Sport«. Und dieser Haltung blieb der Kicker treu. So schrieb Bensemann dort noch 1930: »Der Sport ist eine Religion, ist vielleicht heute das einzige wahre Verbindungsmittel der Völker und Klassen. […] Am besten haben das die begriffen, die nicht mehr aus dem Krieg zurückkehrten.« Auch im DFB war die politische Zerrissenheit des deutschen Fußballs augenfällig. Der DFB war mehrheitlich nationalistisch eingestellt und der internationale Fußball war ihm sehr suspekt. Die FIFA hingegen war für Bensemann Ausdruck der internationalistischen Haltung, zumal der DFB immer mehr von der Idee vereinnahmt wurde, dass der Sport die Wehrfähigkeit der jungen Männer steigern solle und daher besonders der Breiten- und Amateursport gefördert werden müsse.

In den dreißiger Jahren spitzte sich der Konflikt im deutschen Fußball politisch zu. Die Deutschnationalen übernahmen immer mehr Funktionen und Bensemann wurde immer heftiger mit dem stärker werdenden Antisemitismus konfrontiert. 1933 floh er in die Schweiz, wo er 1934 starb.

Bis heute sind Krieg und Frieden im Fußball die zwei Seiten einer Medaille. Den Zwiespalt symbolisiert nichts so gut wie die FIFA mit ihrem Anspruch, »den Fussball fortlaufend zu verbessern und weltweit zu verbreiten, wobei der völkerverbindende, erzieherische, kulturelle und humanitäre Stellenwert des Fussballs berücksichtigt werden soll« auf der einen Seite und ihrer Praxis des Wegschauens, wie beispielsweise bei Weltmeisterschaften, ob 1934 in Italien, 1978 in Argentinien oder aktuell 2022 in Katar auf der anderen Seite. Bensemann hatte in der FIFA noch »das herrlichste Geschöpf der Welt« gesehen.

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