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United behind the science

Fridays For Future treibt die Politik vor sich her. Maurice Conrad ist Aktivist der ersten Stunde und liefert Einblick in die größte Klima- und Jugendbewegung unserer Zeit: Wer sind diese jungen Menschen? Was treibt sie an? Was sind ihre Strategien? Und warum sind sie so erfolgreich? Er zeigt, wie Fridays For Future sich gewandelt hat von einer Aktion, einer Kampagne, einem Hashtag hin zu einer großen, globalen Bewegung. Eine Bewegung von jungen Menschen kämpft, basierend auf Zahlen und Erkenntnissen der Wissenschaft, für unsere gemeinsame Zukunft und will die Gesellschaft verändern. Auch wenn es Gegenwind teilweise aus überraschender Richtung kommt.

»United behind the science« ist wohl Einer der erfolgreichsten Slogans der jüngeren Klimabewegung und überhaupt politischer Kampagnen der letzten Jahre auf globaler Ebene. Seine Stärke liegt in der weit verbreiteten Integrität und Akzeptanz von Wissenschaft, so viel ist klar. Auf was er aber genau abzielt und was er über den Themenkomplex Klimaschutz ganz allgemein verrät, geht noch ein Stück tiefer: Denn »United behind the Science« ist der erfolgreiche Versuch, politische Forderungen einer Bewegung – in diesem Fall der Klimabewegung – von den Assoziationen klassischer politischer Konflikte loszulösen. Was den Klimaschutz von fast allen »klassischen« Problemen unterscheidet, ist die letztliche Alternativlosigkeit der nötigen Maßnahmen. Die Tatsache, dass Klimaschutz also eigentlich ein gesellschaftsübergreifendes und alternativloses Interesse ist, wird allerdings längst nicht von allen Menschen erkannt. So lehnte zum Beispiel Christoph Schmidt, zuständig für das Vorabendprogramm der ARD, den Vorschlag, die Sendung »Börse vor acht« durch ein Format »Klima vor acht« zu ersetzen, ab, da es sich bei denjenigen, die das forderten, um eine »parteiische Interessengruppe« handele.

Das ist insofern bemerkenswert, da die Forderung nicht etwa von einer einzelnen Fridays-For-Future-Ortsgruppe kam, sondern von Hunderten Wissenschaftler:innen und Ökonom:innen getragen und ins Leben gerufen wurde. Wenn nach diesen Maßstäben Klimaschutz und Wissenschaftskommunikation nur einer »parteiischen Interessengruppe« dienen würde, stellt sich die Frage, warum die Sendung »Börse vor acht« keiner solchen »parteiischen Interessengruppe« dienen sollte. Man kann sich über die Dämlichkeit dieser Aussage aufregen – sie steht aber eben für jenes Missverständnis, das die Klimabewegung seit jeher versucht zu überwinden: Klimaschutz wird als Klientelinteresse mit entsprechenden Interessenkonflikten wahrgenommen. Dabei ist Klimaschutz explizit kein Interessenkonflikt, sondern höchstens ein Realitätskonflikt. Niemand auf diesem Planeten hat etwas davon, niemand »gewinnt«, wenn die globale Durchschnittstemperatur um vier Grad steigt. Es gibt wohl kaum eine Interessensgruppe, die es wärmer, und eine andere, die es gerne kälter hätte. Und auch wenn die Rhetorik der Fossilisten etwas anderes vermuten lässt, können wir uns dementsprechend auch nicht irgendwo in der Mitte treffen.

Betrachten wir beispielsweise den politischen Konflikt um einen fiktiven Kulturetat: Es wird Menschen geben, die ein hohes Interesse an politischer Förderung von Kunst und Kultur haben, und andere, denen die Subventionierung von Museen und Theatern eher ein Dorn im Auge ist. Unabhängig von meiner persönlichen Meinung sind verschiedene Positionen in dieser Angelegenheit grundsätzlich verständlich und Bestandteil einer liberalen Demokratie. In der Frage des Kulturetats wird also im Idealfall ein Kompromiss gefunden, der – zumindest spieltheoretisch – irgendwo in der Mitte liegt und mit dem sich beide Seiten arrangieren können. Der Kompromiss als solcher ist das Ziel. Er steht für sich.

Klimaschutz im Sinne der weltweiten Klimabewegung hingegen verfolgt eine andere Handlungslinie: Zwar mögen Menschen, die in den vom Klimawandel besonders betroffenen Regionen leben, auch ein besonderes Interesse am Klimaschutz haben – am Ende bedeutet die Überschreitung der 1,5-Grad-Grenze aber für alle Menschen eine Katastrophe. Interessenkonflikte finden nur sekundär statt und behandeln allesamt Folgen von Maßnahmen, die letztlich immer Schlimmeres verhindern: Keine Klimaschutzmaßnahme dieser Welt würde so gravierende und katastrophale Auswirkungen auf die Sozial-, Gesundheits- oder Sicherheitspolitik haben wie das Verfehlen des Pariser Klimaabkommens. Ironischerweise werden soziale Folgen oft als Argument gegen Klimaschutzmaßnahmen herangezogen. Natürlich muss um die absolute Reduzierung von Kollateralschäden durch Klimaschutzmaßnahmen gerungen werden – ganz besonders in der Sozialpolitik. Die soziale Frage darf nie unter den Tisch fallen. Zum Preis der Klimaziele ist das aber immer ein Verlustgeschäft. Wir befinden uns mitten in einer Krise und steuern auf eine Katastrophe zu. Wer glaubt, es gäbe einen politischen Weg ohne massive Veränderungen unserer Wirtschaft und Gesellschaft, lebt in einer Parallelgesellschaft. Die Frage ist nur: Leiten wir diesen Wandel ein oder lassen wir uns von der KIimakrise überrollen?

Alle politischen Angebote müssten sich daher voll und ganz im Rahmen der Klimaziele befinden – erst wenn dies gegeben ist, dürften sie untereinander in den Wettstreit treten und erst dann wäre auch wieder der Weg das Ziel. Das ist zumindest die Theorie. Dass dieser Wettstreit in der Realität vor allen Dingen zwischen politischen Angeboten passiert, die allesamt nicht mit dem 1,5-Grad-Ziel vereinbar sind, ist das vielleicht schwerwiegendste Problem der aktuellen Klimapolitik. Worin dieser Umstand begründet ist, lässt sich nur erahnen. Womöglich ist es eine Mischung aus Klientelpolitik verbunden mit tiefer Unkenntnis über die Klimaziele als solche. Tatsächlich scheint hochrangigen Politiker:innen der Bundesregierung nicht klar zu sein, welche Berechnungen dem 1,5-Grad-Ziel zu Grunde liegen und dass es sich dabei nicht um eine Sonntagsrede handelt. Auch denjenigen, die in der neuen Bundesregierung wortreich mit Begriffen wie »Klimakanzler« um sich werfen. Tatsächlich markiert die 1,5-Grad-Grenze den Punkt, an dem sich die Kettenreaktionen in der Atmosphäre von menschlichen Einflüssen so stark abgekoppelt haben werden, dass ganz unabhängig von den akuten Emissionsmengen eine stetig steigende Erderwärmung in Gang treten wird. Der Klimawandel verläuft nicht linear, sondern verhält sich eher wie ein Wasserglas, das umfällt: Ist die Schräglage einmal groß genug, fällt das Glas von ganz allein um – selbst wenn wir aufhören, es zu bewegen.

Der Beitrag United behind the science erschien zuerst auf Westend Verlag GmbH.



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