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Angela Merkel und das politische Gewürge der letzten Kanzlerinnenjahre

Auch Angela Merkel verabschiedet sich wenig rühmlich von der Berliner Bühne. Deutschland ist angesichts der blassen, ja taumelnden Politik merkelmüde geworden. Und so ergeht es der Kanzlerin nicht anders als ihren sieben Vorgängern. Konrad Adenauer musste aus dem Amt getragen werden, Ludwig Erhard wurde rausgeschubst, Willy Brandt zum Rücktritt gezwungen, Helmut Kohls Kanzlerschaft endete in Skandalen, und Gerhard Schröder kegelte sich selbst aus dem Spiel. Peter Zudeick erzählt in seinem neuen Buch „Verbrandt, verkohlt und ausgemerkelt“ von einem eigenartigen und ganz besonderen Phänomen: dem immer wieder bitteren Ende deutscher Kanzlerschaften.

Ob Angela Merkel eine Krisenkanzlerin ist, wie viele meinen, ist fraglich. Jedenfalls hat sie es in den vielen Jahren ihrer Kanzlerschaft vermocht, den Eindruck zu erwecken, dass sie Deutschland einigermaßen sicher durch alle möglichen Krisen steuert. Diesen Nimbus hat sie spätestens in der Corona-Krise eingebüßt. Allerdings weitgehend ohne ihr Verschulden. Die vielen Pannen und Fehlentwicklungen hat sie am allerwenigsten zu verantworten. Das als allgemeines Durcheinander wahrgenommene Krisenmanagement ist zum Teil Gesundheitsminister Spahn, im Wesentlichen aber den unterschiedlichen Interessen der Bundesländer geschuldet, deren Ministerpräsidenten sich zum Teil nicht einmal an Absprachen gebunden fühlten, denen sie gerade zugestimmt hatten.

So entstand der Eindruck, dass die Kanzlerin, die deutlich strengere Maßnahmen als die jeweils verordneten befürwortet hatte, sich nicht mehr durchsetzen kann. »Uns ist das Ding entglitten«, soll sie am 24. Januar dieses Jahres bei einer der vielen Konferenzen mit den Ministerpräsidenten geseufzt haben. Danach hat sie es immerhin geschafft, die Länderchefs zu einem Inzidenzwert von 35 für mögliche Lockerungen zu überreden. Kaum war das beschlossen, kam Kritik aus genau der Runde, die den Beschluss gefasst hatte. Im kleinen Kreis mit Markus Söder, Olaf Scholz und Berlins regierendem Bürgermeister Michael Müller musste sich die Kanzlerin von 35 auf 50 hochhandeln lassen. »Für die Kanzlerin kommt das der Kapitulation gleich.«

Der Tiefpunkt in dem ganzen Verwirrspiel: Nachdem sie sich gegen ihre Überzeugung auf Lockerungen und Öffnungsschritte eingelassen hat, kündigt sie zwei Wochen danach einen harten Lockdown für Ostern an, inklusive Ausgangssperren. Eine fünftägige Osterruhe, also von Gründonnerstag bis Ostersonntag, soll helfen, die »dritte Welle« zu brechen. Merkels Fehler: Keiner kann in diesem Lande einfach einen Werktag zu einem Feiertag erklären, auch nicht die Bundeskanzlerin. Da gibt es erhebliche rechtliche, auch versicherungsrechtliche Schwierigkeiten. »Dieser Fehler ist einzig und allein mein Fehler«, erklärt sie am 24. März und fügt hinzu: »Dafür bitte ich alle Bürgerinnen und Bürger um Verzeihung.« Ein einmaliger Vorgang.

Der Eindruck eines ständigen Durcheinanders und Gegeneinanders, von Ratlosigkeit und Verzweiflung der Regierenden hätte durchaus vermieden werden können. Die Kanzlerin hätte nur eindeutiger kommunizieren müssen, dass der Bund in diesen Fragen nur den Rahmen setzen kann, innerhalb dessen die Länder ihre Maßnahmen treffen und verantworten. Das war und ist die Rechtslage in einem föderalen Staat.

Das wurde zwar immer mal wieder gesagt, aber eher kraftlos, ohne den nötigen Nachdruck, sodass immer mehr von Konfusion, Flickenteppich und dergleichen die Rede war und eine Corona-Konferenz nach der anderen als Desaster für Merkel wahrgenommen werden konnte. So trug die Pandemie mit dazu bei, den Machtverfall Merkels zu illustrieren, ein Verfall, der schon lange vorher eingesetzt hatte. Dass sie sich nicht durchsetzen konnte, auch gegen die eigenen Leute nicht, nagte an ihrer Autorität. Eine Politikerin, die stets auf Macht und kaum je auf Inhalte, auf Konzepte, auf Programme gesetzt hat, verliert alles, wenn sie ihre Macht verliert.

Im Oktober 2018 verkündet sie, dass sie nicht wieder für den Parteivorsitz und für die Kanzlerschaft antreten werde. Und zwar mit derselben Begründung, die auch schon andere Kanzler angeführt hatten: schlechte Ergebnisse bei Landtagswahlen. Die CSU war in Bayern auf unter 40 Prozent abgestürzt (minus 10,5) und die CDU in Hessen auf unter 30 Prozent (minus 11,3).

Spätestens jetzt zeigte sich, dass Angela Merkel den Fehler fast aller ihrer Vorgänger gemacht hatte: Die Nachfolge war ungeklärt. Lange Zeit hatte Norbert Röttgen als Kronprinz gegolten, aber der hatte, wie beschrieben, seine Chance vertan. Zwar hatte Merkel die saarländische Ministerpräsidentin Kramp-Karrenbauer im Februar 2018 nach Berlin geholt – zur großen Überraschung vieler aber nicht ins Kabinett, sondern als CDU-Generalsekretärin. Kramp-Karrenbauer selbst hatte das so gewollt, Merkel hatte ihr ein Ministeramt angeboten. Aber das Parteiamt sollte wohl eine Art Vorentscheidung für den Parteivorsitz sein.

Nur: Diese Lösung war in der Partei nicht ausreichend vorbereitet worden. Zumal Kramp-Karrenbauer zu deutlich auf Merkel-Linie lag und somit eine Fortsetzung der Merkel-Ära zu erwarten war. Was vielen Konservativen in der Partei durchaus nicht in den Kram passte.

Weshalb Friedrich Merz ins Gespräch gebracht wurde. Von seinen Freunden und Anhängern, auch von ihm selbst. Der alte Merkel-Widersacher, so das Kalkül, würde frischen Wind in die müde gewordene CDU-Politik bringen. Auch andere Kandidaten wurden genannt – Jens Spahn, Ursula von der Leyen, sogar Wolfgang Schäuble war mal wieder im Gespräch. Aber Annegret Kramp-Karrenbauer wurde Vorsitzende der CDU. Knapp. Mit 35 Stimmen Vorsprung vor Friedrich Merz. Eine gut vorbereitete Nachfolge hätte ein deutlicheres Votum ermöglicht.

Aber sie war eine Parteivorsitzende ohne Fortune. Zwar lief es zunächst ganz gut, sie lag Anfang 2019 im ARD-Deutschlandtrend auf Platz zwei hinter Merkel als beliebteste Politikerin. Aber ihre Fehler häuften sich. Ein dummer Scherz über »Toiletten für das dritte Geschlecht« bei einem Karnevalsauftritt, der ungeschickte Umgang mit dem Anti-Unions-Video des Youtubers Rezo, der Einbruch der CDU bei der Europawahl und schließlich eine irritierende Äußerung über Pressefreiheit. Ein Youtuber hatte dazu aufgerufen, die CDU nicht zu wählen. »Was wäre eigentlich in diesem Land los«, sagte sie bei einer Pressekonferenz nach der Europawahl im Mai 2019, »wenn eine Reihe von, sagen wir mal, 70 Zeitungsredaktionen zwei Tage vor der Wahl erklärt hätten, wir machen einen gemeinsamen Aufruf: Wählt bitte nicht CDU und SPD! Das wäre klare Meinungsmache vor der Wahl gewesen, und ich glaube, es hätte eine muntere Diskussion in diesem Land ausgelöst.« Deshalb würde die CDU die Diskussion über Meinungsmache im Internet »sehr offensiv angehen«. Im daueraufgeregten Web wurde das sofort als Drohung interpretiert.

Allmählich dreht sich der Wind gegen die neue Vorsitzende, die selbstverständlich auch als potenzielle Kanzlerkandidatin gilt. Im Februar 2020 kommt der Todesstoß, als die CDU Thüringens gemeinsam mit der AfD den FDP-Mann Thomas Kemmerich zum Ministerpräsidenten wählt. Sie reist nach Erfurt, bringt es aber – vor aller Augen sozusagen – nicht fertig, den Landesverband zur Räson zu bringen.

Sie gibt auf. Und nun heißt es wieder: Saarländische Provinz ist das eine, die große Politik in Berlin etwas ganz anderes. Allerdings war die Schar derer, die Annegret Kramp-Karrenbauer beim Einstieg in das Spitzenamt unterstützt hatten, von Anfang an überschaubar. Auch von Angela Merkel kam keine erkennbare Hilfe. Als sie während einer Südafrika-Reise erklärte, die Wahl in Thüringen sei inakzeptabel und müsse rückgängig gemacht werden, war das genau das Gegenteil von Unterstützung. Es war vielmehr ein hoch symbolischer Akt von Machtpolitik: Sieh her, so macht man das, wenn eine Sache aus dem Ruder läuft, man ordnet an, dass eine parlamentarische Wahl »rückgängig« gemacht werden soll. Ein bemerkenswerter Vorgang. Zwar hat auch das nicht dazu geführt, dass die CDU in Thüringen parierte. Aber dazu, dass Frau Kramp-Karrenbauer endgültig davon überzeugt war, dass sie in dieser Konstellation keine Chance hatte, die CDU tatsächlich zu führen.

Und damit war das Scheitern der CDU-Vorsitzenden auch das Scheitern der Kanzlerin. Gescheitert war ihr Modell, nach dem Debakel bei der Hessenwahl die Parteiführung einer anderen zu überlassen und die vierte Kanzlerschaft in Ruhe zu Ende zu bringen. Vermutlich ohne es wirklich zu wollen, hat die Kanzlerin das Scheitern der Vorsitzenden besiegelt und damit ihr eigenes Scheitern eindrücklich dokumentiert.

Die CDU setzte damit die Selbstverzwergung nach sozialdemokratischem Muster munter fort. Zwar waren die Umfragewerte der Bundespartei immer noch bei 27, 28 Prozent. Aber die 30-Prozent-Marke erreichte sie schon seit geraumer Zeit nicht mehr. Die Situation Anfang 2020 war also die: Diese Republik wird von zwei vormals großen Parteien regiert, die offenbar überwiegend mit ihren eigenen Zerwürfnissen und Niederlagen beschäftigt sind.

Damit hatte jeder mögliche Nachfolger das Problem, ob er oder sie zu den gegenwärtigen Konditionen antreten will. Also mit einer Kanzlerin und einem Kanzleramt, die keine Garantie bieten, der oder dem Vorsitzenden den Rücken zu stärken, mit dem Konflikt zwischen Rechtstendenzen und liberaler Ausrichtung innerhalb der Partei, mit abstürzenden Landesverbänden im Osten, die vielleicht doch mit der AfD anbandeln, und Tendenzen zu Schwarz-Grün im Westen. Um das alles zusammenzuhalten oder wieder zusammenzuführen, bedarf es einer stärkeren Position in der Union. Und die ist nach aller Erfahrung nur mit der Personalunion Parteivorsitz und Kanzlerschaft zu haben.

So kam es dann auch. Friedrich Merz unterlag abermals bei der Wahl zum CDU-Parteivorsitzenden, mit Armin Laschet wurde ein Merkel-Mann Merkel-Nachfolger. Und dann auch Kanzlerkandidat der Union nach elend langem Gezerre mit der CSU und Markus Söder.

Und es ging weiter abwärts. Bei zwei Landtagswahlen am 14. März 2021 gibt es wieder zwei böse Niederlagen. Im ehemaligen CDU-Stammland Baden-Württemberg geht es runter auf knapp über 24 Prozent, in Helmut Kohls Heimat Rheinland-Pfalz auf unter 28 Prozent. Als Hauptgrund für den Absturz machen Analytiker und Journalisten das Missmanagement in der Coronakrise aus. Angela Merkel läuft Gefahr, »auf den letzten Metern ihrer Kanzlerschaft ihr Andenken zu demolieren«, wie die »Luzerner Zeitung« formuliert. Jan Fleischhauer im »Focus«: »Leider verbindet Kohl und Merkel auch der Attentismus der Spätphase. Nichts geht voran, alles misslingt. Aber irgendwie ist das auch egal.« Und aus SPD-Sicht sieht das so aus: »Merkel hinterlässt ein müderes, vor allem auch polarisierteres Land, als sie es 2005 von Gerhard Schröder übernommen hat.«

Zerfall, Abstieg, Zerbröseln, das sind die Begriffe, mit denen die Endphase der Kanzlerschaft von Angela Merkel benannt wird. Daran ändert auch der letzte CDU-Wahlerfolg in Sachsen-Anhalt nichts. Wie Helmut Kohl schleppt sie sich zum Ende hin, das für viele nicht schnell genug kommen kann. Spätestens nach der Bundestagswahl 2017, angesichts der quälend langen Koalitionsverhandlungen, bahnt sich für einige Beobachter das »Ende der Ära Merkel« an. Welche Koalition auch immer zustande kommt, »in allen Varianten ist die Kanzlerin nur noch eine Figur des Übergangs.«

»Die Ära Merkel geht zu Ende, und das ist auch gut so«, schreibt der Soziologe Wolfgang Streeck Ende 2017 in der FAZ und diagnostiziert eine von Merkel herbeigeführte »postdemokratische Narkose«, aus der Politik und Öffentlichkeit allmählich zu erwachen scheinen.26 Drei Jahre später stellt die »Süddeutsche Zeitung« fest, was viele denken: »Es bröckelt«, und Joschka Fischers Abgesang »Goodbye Mutti« im März dieses Jahres artikuliert schließlich den gesellschaftlichen Mainstream.

Das Bemerkenswerte daran: Der Beliebtheit von Angela Merkel haben weder ihre abrupten Politikwechsel noch ihr am Ende offensichtliches Scheitern als Krisenmanagerin ernsthaft geschadet. Das unterscheidet sie von den großen Figuren der CDU: Helmut Kohl war in seinem letzten Regierungsjahr so unbeliebt wie Gregor Gysi, und selbst Konrad Adenauers Beliebtheit war am Ende stark gesunken.

Das ist jetzt anders: Beim Deutschlandtrend im Mai 2021 sind zwar nur noch 35 Prozent der Befragten zufrieden mit der Arbeit der Bundesregierung. Aber mit Merkel immer noch 59 Prozent. Für die Partei zahlt sich das nicht aus. In der Sonntagsfrage liegt die Union mit 24 bis 26 Prozent Zustimmung mal vor, mal hinter den Grünen, aber immer unter 30 Prozent. Markus Söder hat die Union mehrmals davor gewarnt, es sich mit den Beliebtheitswerten der Kanzlerin gemütlich zu machen: »Merkel-Stimmen gibt’s nur mit Merkel-Politik.«

Merkel hätte die Chance gehabt, ihre Kanzlerschaft nach 16 Jahren geordnet und in Würde zu beenden, auch sie hat es nicht geschafft. Das liegt sicher auch an der Corona-Krise. Aber die Turbulenzen um die Nachfolge im Parteivorsitz und um die Kanzlerkandidatur sind ihre Turbulenzen, sie hinterlässt eine Partei, die ums Überleben als Kanzlerpartei ringt, und eine Koalition, in der die kleinteiligen Streitereien in der Corona-Krise der letzte, entscheidende Eindruck bleiben. Was ihr von den Regierten aber offenbar nicht wirklich angekreidet wird. Angela Merkels Renommee als Person scheint von dem politischen Gewürge ihrer letzten Jahre unberührt zu bleiben.

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