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Die Kunst des Fake

Der Künstler Ernst Volland beschäftigt sich seit Jahrzehnten mit dem Thema Fake, also schon lange, lange Zeit bevor dieses Wort in aller Munde war. Nun feiert Ernst Volland am 4. Mai seinen 75. Geburtstag und schenkt sich selbst ein Buch über sein Lebenswerk: „Die Kunst des Fake“. Volland beobachtet Fakes im Alltag, findet sie in den Medien oder entwirft selbst einen Fake. Dafür schickt er vermeintliche Kinderzeichnungen an Politiker und Bischöfe oder schenkt der Nationalgalerie das Bild eines fiktiven Künstlers. Sein Ziel: mit subversiven Nadelspitzen die Mächtigen beeindrucken. Volland hat den Fake zur aufklärerischen Kunstform entwickelt. Ein Auszug.

Eines Tages, es war Mitte der 80er Jahre, las ich über einen Streit zwischen der Witwe von Joseph Beuys und dem Assistenten von Joseph Beuys, Heiner Bastian, der eigentlich kein Assistent war, sondern eher ein Manager.[1]

Sie stritten sich über zwei Fettstühle. Frau Beuys war im Besitz eines Fettstuhles. Diesen wollte sie nicht für eine von Heiner Bastians kuratierte Ausstellung herausgeben. Es existierte ein zweiter Fettstuhl, beide datierte Bastian auf das Jahr 1964 und sprach von zwei Prototypen. Der Streit entzündete sich vor der ersten großen Retrospektive des Künstlers im Gropius-Bau zu Berlin. Für die Ausstellung war nur ein Fettstuhl vorgesehen, ein zweiter machte keinen Sinn. In der inzwischen schon juristisch geführten Auseinandersetzung bekämpften sich die beiden Parteien um die Deutungshoheit des Beuys-Werkes, speziell welches der originäre, also der einzig bedeutende Fettstuhl ist, der in der Ausstellung gezeigt werden sollte.[2]

Das brachte mich auf eine Idee.

In einer kleinen Galerie in Nimwegen, Holland, hatte ich einmal eine Ausstellung. Der Galerist zeigte Ende der 70er- und An-fang der 80er-Jahre  auch Arbeiten von Joseph Beuys. Der Galerist sah es gern, wenn der Künstler persönlich zur Eröffnung kam, denn jeder Künstler musste ein Pflichtprogramm absolvieren. Die Aufgabe bestand darin, einmal im Kreise seiner Familie eine Erbsensuppe zu essen, zum anderen während der Ausstellungseröffnung mit den Besuchern zu diskutieren, und dabei oder später, aus dem Stand etwas Künstlerisches vor den Augen der Besucher zu produzieren. Ich wusste, Beuys hatte alle drei Punkte absolviert. Er hatte sicherlich auch die Erbsensuppe gegessen und er hatte, was er sehr liebte, seine künstlerischen Weltanschauungen mit Besuchern diskutiert. Vielleicht hatte er sogar ein künstlerisches Dokument zurückgelassen.

Ich telefonierte mit dem Galeristen und kündigte meine Ankunft in den nächsten Tagen an.

Den Grund meines Besuches nannte ich noch nicht. Ich hatte mich im Haus des Galeristen immer sehr wohl gefühlt. Mit Frau und Kindern lebte er am Rande der Stadt, an einer sehr befahrenen Autostraße, deren Geräusch man auch noch im Garten hinter dem Haus hörte, aber durch die reizvolle Umgebung und die Gastfreundlichkeit der Familie vergaß. Der Galerist, ein kleiner schmaler Mann mit einem grauen Vollbart und einer Nickelbrille, öffnete mir die Tür, und zeigte mir gleich seine Freude über mein Erscheinen. Auch ich war damals zu meiner Ausstellung angereist, hatte meine Erbsensuppe gegessen, mit den Ausstellungsbesuchern über meine Karikaturen und Fotomontagen diskutiert und auch ein Original am Abend gezeichnet. Die fünfjährige Kontaktpause war im Nu überbrückt. Bei einer Tasse Tee kam ich direkt auf den Grund meines Besuches: „Joseph Beuys war doch auch persönlich bei seiner Eröffnung in deiner Galerie?“

„Ja natürlich“, erwiderte der Galerist in Holländisch gefärbtem Deutsch, „er kam mit einem Taxi direkt aus der Kunsthochschule in Düsseldorf zur Eröffnung und fing sofort an zu reden. Wir hatten ihm auf Wunsch zwei große grüne Schiefertafeln aufgestellt, auf der er während seiner Ausführungen mit weißer Kreide seine sogenannte soziale Plastik erklärte.“

„Habt ihr die Tafeln denn noch?“

„Was für eine Frage, von dir haben wir doch auch noch das signierte Plakat plus Originalzeichnung, die du spontan angefertigt hast.“

„Wo sind denn die Schiefertafeln?“

„Möchtest Du eine kaufen? Vor ein paar Tagen hat ein Interessent[3] angerufen und nach einer Tafel gefragt. 40.000 auf die Hand hat er mir für eine geboten, nicht wissend, dass wir zwei haben. Eine ist allerdings nicht mehr brauchbar, die hat unsere Katze zu sehr gemocht und sich immer daran gerieben, sodass jetzt alles verwischt ist, aber die andere, die haben wir sofort nach dem Anruf konservieren lassen und in einer Bank deponiert.“

„Aber 40.000, das ist doch ein guter Preis!“ Ich schüttelte den Kopf.

„Jetzt stell Dir doch mal vor, gestern rief ein Galerist aus Berlin an, der fragte auch nach einer Tafel, und ohne eine Ab-bildung oder eine Kopie zu sehen, bot der Minimum 100.000. Ich habe gleich einige Polaroids gemacht und zeige diese einem weiteren Galeristen bei der Eröffnung der Retrospektive von Beuys in Berlin. Wir werden uns also in Kürze wiedersehen. Ich bin sicher, bei 100.000 wird der Preis nicht bleiben. Beuys ist heiß. Mein Gott, wenn ich daran denke, wie die beiden Tafeln hier einfach in unserem Haus herumstanden. Mir wird ganz schlecht.“

„Du bist herzlich eingeladen, in meinem Atelier in Berlin zu übernachten, aber jetzt möchte ich dir von meinem Vorhaben erzählen.“

Ich berichtete ihm vom Streit zwischen Beuys’ Witwe und dessen Assistenten, vom Fettstuhl und von einer realen Linie, die man als Lunte zuerst legen muss, damit ein Fake funktioniert.

Das Wort Fake hatte er noch nie gehört, und ich erzählte ihm von einer Simulation, die man in der Realität durchspielt, wie ein soziales Experiment und dass sich der Faker vom Fälscher dadurch abgrenzt, dass der Faker nach dem gelungenen Coup die Simulation aufdeckt, an die Öffentlichkeit geht, Auf-klärung möchte und den Vorgang zur Diskussion stellt, der Fälscher dagegen immer im Dunkeln bleiben möchte und vor allem ein pekuniäres Interesse an seiner Fälschung hat.

„Ja und was habe ich damit zu tun?“, fragte der Galerist.

„Ganz einfach, Beuys hat bei dir hier im Haus den eigentlichen, den echten, einzig wahren Fettstuhl gezimmert, den ich dir demnächst bauen werde, hier, so einfach sieht der aus.“

Ich hielt ihm ein Foto des Beuys’schen Fettstuhles hin.

„Prototyp A, von Beuys bereits als Jugendlicher Ende der 30er Jahre skizziert, und jetzt bei dir realisiert. Die Skizze habe ich dir schon mitgebracht.“

Er sah einen alten Küchenhocker mit einem Fettstück auf der Sitzfläche.

„Du bist der Besitzer dieses dritten, aber für uns und bald für die Kunstszene einzig wahren Fettstuhles, denn Beuys war bei dir, er hat bei dir ausgestellt, das ist dokumentiert.“

„Du meinst, ich habe einen Fettstuhl?“

„Ja, genau, und er ist ganz einfach herzustellen, sozusagen keine Kunst.“

Ich sah, wie es im Gehirn des Galeristen arbeitete.

„Ja, kann man das denn einfach so machen, ich meine, also, das musst du mir noch einmal erklären.“

Er setzte seinen bunten Teebecher ab, nahm sich einen Schnaps aus der Genever-Flasche, setzte das Glas an die Lippen und schwieg.

„Du musst das alles von der spielerischen Seite sehen“, begann ich von Neuem, „also in der Tradition von Dada und Happening. Das wird ein großer Spaß.“

Am nächsten Tag fuhr ich mit dem Zug zurück nach Berlin. Wir trennten uns mit seinen mehrmals wiederholten Worten, er denke über alles nach, käme nach Berlin, wohne bei mir, treffe sich zur Eröffnung der Beuys-Retro mit dem Galeristen, der großes Interesse am Kauf der Schiefertafel zeigte, und dann wäre mein Fettstuhl an der Reihe.

Gemeinsam gingen wir zur Eröffnung in den Gropius-Bau. Der holländische Galerist traf den Galeristen aus Berlin und zeigte seine Polaroids mit der Schiefertafel. Beide unterhielten sich angeregt über das besondere Exemplar der Tafel, auf der Beuys sehr ausführlich mit Kreisen und Pfeilen seine Intentionen festgehalten hatte. Man kam überein, dass es sich um eine außergewöhnliche Arbeit handelt, die ihren Preis wert sei. Der Galerist bot jetzt 250.000.

Mein holländischer Freund, mit seiner kleinen winzigen Galerie in Nimwegen, tat etwas, was ich ihm nie zugetraut hätte, er lehnte diesen Preis ab. Während des Rundganges fragte ich ihn, warum er diesen doch sehr hohen Preis abgelehnt habe.

„Zuerst kommt einer mit 40.000, dann bietet einer 100.000, ohne die Tafel gesehen zu haben, und dieser bietet aufgrund des Polaroidbildes 250.000, dann wird es auch einen geben, der 500.000 bietet. Ich habe keine Lust mehr in diesem Haus zu wohnen, es ist mir einfach zu laut.“

Wir gingen schweigend an den Objekten von Beuys entlang.

„Und was deinen Fettstuhl betrifft, den musst Du nicht bauen. Aus der Sache wird nichts. Stell dir mal vor, der Fake funktioniert und der Fettstuhl hat seine Schuldigkeit getan, was passiert dann?“

Ich schaute ihn fragend an.

„Na, das ist doch ganz klar. Wenn der Fettstuhl nicht echt ist, aber mir gehört, dann ist doch die echte Schiefertafel auch nicht echt, oder? Ich will da raus, ich kann den Motorenlärm nicht mehr hören. Ich hoffe, du verstehst das. Also keinen Fettstuhl bitte, sorry.“

Später erfuhr ich, dass der Galerist seinen avisierten Preis für die Beuys-Tafel nicht bekommen hatte, nirgends. Schließlich verkaufte er die Tafel für 100.000, der Kurs für Beuys war gefallen.

All das erfuhr ich an der Mündung des Canale Grande, auf der Seite der Kirche Santa Maria della Salute. Dort traf ich den Galeristen zufällig mit seiner Frau, an der Spitze der Mündung, inmitten einiger Touristen. Seine Frau bemerkte ich von hinten, den schönen langen blonden geflochtenen Zopf; instinktiv wusste ich, dass sie es war. Nicht weit von ihr stand ihr Mann, der holländische Galerist, an einer Hand einen großen durchsichtigen Plastikbeutel mit dicken Katalogen.

„Hallo, was für ein Zufall, wir waren auf der Biennale, immer wieder interessant. Wir gehen jedes Jahr.“

Es waren inzwischen 17 Jahre vergangen, seit unserem letzten Treffen. Ich hielt mich, ohne einen speziellen Grund, auf Einladung von italienischen Freunden, für ein paar Tage in Venedig auf. Die Freunde besaßen eine Wohnung in einem Palazzo, der direkt gegenüber auf der anderen Seite des Canale Grande stand.

„Ich wohne dort drüben in dem Palazzo, wenn ihr Zeit habt, können wir mit einem Boot rübersetzen und einen Tee zusammen trinken.“

Sie schauten mich ungläubig an.

„Ja, ja, das ist dein Palazzo und dein Schiff und … Nein, wie war das noch, wie hieß der Fettstuhl noch? Fake oder so ähnlich. Einladung in den Palazzo, Fake, vielleicht ein anderes Mal, wir müssen zum Flughafen, sind schon spät dran. Komm doch mal wieder nach Holland, bis dann, tschau, arrivederci.“

Schnell verschwanden sie über eine kleine Brücke zwischen den schmalen Gassen.

Der Fake konnte nicht realisiert werden, er scheiterte an den Umständen. Wichtig ist es bei einem Fake, eine Spur zu legen mit einer glaubwürdigen Legende. Hier stellte die Aktivität von Beuys, seine Anwesenheit in der holländischen Galerie, den realen Hintergrund. Warum sollte Beuys nicht drei Fettstühle produziert haben?

[1] Heiner Bastian, laut FAZ vom 08.12.2020 Kunsthändler, Lyriker und Galerist. „Bastian war nach 1968 mehrere Jahre lang Privatsekretär und Vertrauter von Joseph Beuys.“

[2] Fettstuhl 1: Ehemals im Besitz von Eva Beuys, jetzt Landesmuseum Darmstadt. Ein weiteres Kuriosum. Frau Beuys war im Besitz des Stuhls. Nach dem Tod von Beuys tauchte ein Dokument auf, dass der Stuhl bereits für 60.000 DM an den Sammler Marx verkauft wurde. Welche Rolle Heiner Bastian dabei spielte, ist unbekannt. Fettstuhl 2: inzwischen im Besitz National Galleries Scotland. Siehe auch: „Beuys zwischen allen Fettstühlen“, Spiegel, 8. Februar 1988, online unter: www.spiegel.de/spiegel/print/d-13527468.html.

[3] Es war der Plakatkünstler Klaus Staeck.

Der Beitrag Die Kunst des Fake erschien zuerst auf Westend Verlag GmbH.



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