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Köche, hört die Signale!

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David Höner, Koch und Gründer der „Cuisine sans frontières“, Gastgeber an Locations zwischen Zürich und Nairobi, St. Moritz und Quito, blickt zornig auf die Früchte der Globalisierung, die keinem schmecken. Ob es die betriebswirtschaftlich organisierte Gastronomie ist, die auf Lebensqualität und Gesundheit spuckt, ob es sich um die immer schlechter werdende Ausbildung von Köchen handelt, um krank machende Produkte der Nahrungsmittelindustrie oder „nur“ um die Verwilderung der Tischsitten – für David Höner ist es an der Zeit, ein Zeichen zu setzen und den Köchinnen und Köchen dieser Welt zuzurufen: „Köche, hört die Signale!“ Mit ihm melden sich in seinem kulinarischen Manifest Meisterinnen und Meister ihres Fachs zu Wort: Romana Echensperger, Maria Groß, Franz Keller, Sandra Knecht, Robert Mangold, Birgit Reitbauer, Eckart Witzigmann und Doris Dörrie.

Ein Gespenst geht um in der Welt. Das Gespenst der Entfremdung von uns selbst. Wie konnte es so weit kommen, Dass die elementarsten Bedürfnisse des Menschen hinter fast undurchsichtigen Schleiern verborgen sind? Der Blick auf das Wesentliche ist verstellt, überliefertes Wissen vernebelt, einfachste Fertigkeiten Sind verloren. Es soll Kinder geben, die eine simple Schuhbandschleife, den Kreuzknoten, mit dem man Schuhe bindet, nicht mehr beherrschen, die noch nie eine Kartoffel gekocht haben, geschweige denn einen Kartoffelacker von einem Zwiebelfeld unterscheiden können. Der urbane Mensch erkennt einen reifen Apfel nicht mehr am Geruch, weiß kaum, dass Käse aus Milch hergestellt wird und wie viele Eier ein Huhn in einer Woche legen kann. Huhn oder Hase? Kohlrabi oder Karotte? Was ist was?

Die Natur erscheint dem vermeintlich auf der Höhe des Zeitgeistes fliegenden Hipster als dreidimensionales Schaubild, das er bespaziert. Bewundernswert und faszinierend. Doch die reale Funktionalität dieser planetaren Schöpfung, das Bewusstsein, dass wir dafür eine Verantwortung tragen, ist kaum vorhanden. Unrealistische Bilder geistern durch das digitale Weltbild der verlorenen Seelen, die, ohne es zu merken, in einem wirren Zickzack durch das Labyrinth von falschen und wahren Informationen stolpern. Sie streben Zielen zu, die längst nicht mehr eigenem Denken entsprungen sind, sondern von überaus geschickten Verführern, einfacher noch: von raffinierten Verkäufern entworfen werden. Nicht das Wohl des Bauches, nicht die Zufriedenheit des Gemütes und nicht die Freude an der Gemeinschaft stehen im Vordergrund der kommerziellen Offerten. Immer schneller verwirbeln sich die Angebote, Notwendiges und Nutzloses sind nicht mehr zu unterscheiden. Was gestern neu und faszinierend in den Konsumtempeln auftauchte, verliert schon bald seinen Glanz. Das ständige Verlangen nach mehr produziert die Gier, die eine unheilvolle Allianz mit künstlichen Wünschen, synthetischem Verlangen und unerfüllten Sehnsüchten eingeht. Sämtliche Medien stimmen ein in den lärmigen Chor, der noch mehr Katzengold auf Kauderwelsch anpreist. Es ist schwierig, fast unmöglich geworden, die Spreu vom Weizen zu trennen. Im Kokon einer Scheinwelt, die sich uns als eigentliches Habitat unserer Selbst präsentiert, verliert sich der Mensch. Er transformiert zum Homo consumens, der Galaxien bewohnt, die nicht bewohnbar sind und schon gar nicht real existieren. Ernten, ohne zu säen, ist hier die Regel.

Dieses Ungleichgewicht zwischen Produktion und Konsum setzt eine Klassengesellschaft voraus. Hinter klangvollen Namen verbergen sich Produzenten, die sich dem Konsumenten nicht als Personen, sondern großflächig als Firma, als Konzern präsentieren. Während der Prolet sein Industriebrot im Supermarktregal, einplastifiziert und lange haltbar, erwirbt, schlendert der Hedonist durch die Holzofenbäckereien der Fußgängerzonen. Eine Biodinkelbrezel, ein organisches, naturbelassenes Roggenbrot, ein Apfelstrudel mit garantiert ungespritzten Früchten: alles da. Es war schon immer etwas teurer, einen exklusiven Geschmack zu haben. Doch wie in einem Bienenvolk die Drohnen im Herbst von den fleißigen Arbeiterinnen hinaus in den Tod gejagt werden, so besteht ständig die Gefahr, dass sich die urbanen menschlichen Drohnen eines Tages als überflüssig erweisen und ihre Existenzberechtigung verspielt haben. Was soll es für Gründe geben für die Bauern, Arbeiter und Angestellten, den mit Luxus gestopften Lebensstil der selbsternannten Eliten weiter zu ermöglichen, wenn es dereinst zum Drohnendonnerwetter kommt? Der ungebremste Egoismus der westlichen Zivilisation ist nur aufrechtzuerhalten, indem man den indischen oder afrikanischen Bauern den Zugang zu ähnlichem Tun nachhaltig verwehrt. Dabei wird die „westliche Werteskala“ immer unkenntlicher. Während Abertausende Hektar gesunder Landschaften, Weiden, Wälder, Gewässer dank einer „überlegenen“ Technologie geradezu selbstmörderisch zugrunde gewirtschaftet werden, regt sich der Widerstand gegen diese Machenschaften. Nicht nur bei den zahlreichen ausgebeuteten Völkern, wo ein klares Bewusstsein für die eigene Situation spürbar wächst, es gibt auch in den Reihen der modernen Zivilgesellschaften Stimmen, die das bedrohliche Menetekel erkannt haben. Zwar ist es nicht einfach, die falschen von den richtigen Mahnern zu unterscheiden, doch dass etwas getan werden muss, um dem andauernden Wachstum Zügel anzulegen, ist heute lebensnotwendig geworden. Hoffnung auf eine bessere Welt, in der sich das Gesetz der ständigen Gewinnmaximierung als der Popanz, der er ist, entlarvt, ist durchaus vorhanden. Auch ist der technologische Fortschritt im Informationszeitalter nicht einfach des Teufels. Wissen ist ein Völker verbindendes Element, das allen zugänglich ist. Und vereint sind wir stark.

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