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Fußball zwischen Betriebswirtschaft und Leidenschaft

In diesem Buch geht es um Fußball, der für mich zwar wichtig, letztlich aber immer noch eine Nebensache ist. Daran wird sich nichts mehr ändern, da können meinetwegen Tausende und Abertausende die Liebe zu einem Fußballverein zum Wichtigsten in ihrem Leben deklarieren. Ich finde, da gibt es wesentlich wichtigere Dinge. Aber im deutschen Fußball wimmelt es vor legendärer Szenen: das Wembley-Tor bei der WM 1966, Oliver Bierhoffs Golden Goal im EM-Finale 1996 gegen Tschechien, Lars Rickens Lupfer beim Champions-League-Finale 1997, Dieter Hoeneß und sein blutiger „Turban“, das 7:1 der Deutschen gegen Brasilien 2014, Jürgen Sparwassers 1:0 beim einzigen deutsch-deutschen WM-Duell 1974. Diese Mosaiksteine in der Geschichte des deutschen Fußballs noch mal zu beleuchten, sie von den Pro­tagonisten schildern zu lassen und das dann mit analytischen, frechen und witzigen Kommentaren zu versehen, hat einen Heidenspaß gemacht. Ein Auszug.

Ich glaube nicht, dass Oliver Bierhoff im Anzug schläft. Aber ein Pyjama mit Twillseide aus Como darf es vermutlich sein. Er ist halt ein smarter Typ, ein »Business-Man« aus dem Bilderbuch. Das muss nicht jeder klasse finden, vor allem bodenständige, geerdete Fußballfiguren wie Rudi Völler, Uli Hoeneß und Michael Ballack hatten schon früh Probleme mit »Marketing-Olli«, wie sie den Nationalmannschaftsmanager abschätzig nannten. Aber Bierhoff hat sich nicht nur gehalten, er ist mittlerweile ein mächtiger Mann beim DFB. Einer von vier DFB-Direktoren, mit hundert Mitarbeitern, zuständig für alles rund um die Nationalmannschaft. Sein Vertrag läuft noch bis 2024, sein absolutes Renommierobjekt ist die mehr als 150 Millionen Euro teure DFB-Akademie in Frankfurt. Marketing, Trainerausbildung, Talentförderung – in der Akademie sollen dereinst die Grundlagen gelegt werden, um den deutschen Fußball in der Weltspitze zu halten. Oder ihn nach dem Desaster bei der WM in Russland wieder dorthin zu bringen.

Bierhoff war nie unumstritten. Weil er die von ihm sogenannte »betriebswirtschaftliche Denke« radikal auf die Nationalmannschaft übertragen hat. Bierhoff wurde vorgeworfen, die Nationalmannschaft als lukratives Geschäftsmodell zu begreifen, bei dem Werte wie Fankultur, Identifikation oder Patriotismus lediglich kühl kalkulierte Imagebestandteile sind. Nach der WM in Russland kochten diese Vorbehalte noch einmal hoch: mangelnde Nähe zu den Fans, ein künstliches Etikett wie »Die Mannschaft« – Bierhoff leistete Abbitte und möchte das Nationalteam wieder populärer machen. Kritisiert wurde auch die Wahl des öden WM-Quartiers Watutinki und sein irritierender Umgang mit dem Fall Mesut Özil, als er erst schwieg und Özil nach der WM dann zu einer Art Sündenbock erklärte.

Oliver Bierhoff vermarktet nicht nur »Die Mannschaft«, es war ihm auch immer ein starkes Bedürfnis, sich selber zu präsentieren und ordentlich Kasse zu machen. Der Kern der »Marke Bierhoff« wurde schon vor zwanzig Jahren durch eine Umfrage bei 2000 »Marktteilnehmern« ermittelt. Luxusuhren, Parfüms, Banken, Sportausrüster – in der ewigen Tabelle der deutschen Selbstvermarkter gehört Bierhoff ein stabiler zweiter Platz hinter Franz Beckenbauer. Seinen Vertrag mit Nike löste er allerdings auf, als er Einlass ins Adidas-Land DFB fand.

Bierhoff ist aber offensichtlich unfähig, einen radikalen Schnitt in seiner Werbebotschafter-Vita zu machen. Wer immer irgendetwas verkaufen will, wer nahezu alle Lebensbereiche ökonomisiert und als Ansammlung von »Produkten« wahrnimmt, für den muss es ungeheuer schwer sein, Interessenskonflikte zu erkennen und Konsequenzen daraus zu ziehen. Erst Ende 2017, als er DFB-Sportdirektor wurde, löste Bierhoff beispielsweise seine Teilhabe an der Sportvermarktungsagentur Projekt B auf. Bis 2017 war er auch »SAP-Botschafter« und fand nichts dabei, während der WM in Brasilien und bei der EM 2016 in Frankreich den genialen Beitrag des Softwarekonzerns zum Erfolg der Mannschaft in einer Pressekonferenz vorzustellen. Gott sei Dank verzichtet der DFB-Direktor schon länger darauf, seine auf das Ökonomische verengte Weltsicht ideologisch in die Öffentlichkeit zu tragen. Das äußerte sich früher in Vorträgen für die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft, in denen Bierhoff das komplette neoliberale Waffenarsenal präsentierte. In dieses Bild passte auch die PR-Aktion gemeinsam mit der Atomlobby gegen die Laufzeitbegrenzung der deutschen AKWs im Jahr 2010.

Die lange Zeit zu besichtigende Mischung aus schniekem Outfit, Marktradikalismus und unverhülltem Eigennutz hat sich rund geschliffen, ohnehin fällt es nicht mehr sonderlich auf, Fußballfunktionäre vom Typus Bierhoff sind mittlerweile klar in der Mehrheit. Und am Machtfaktor Oliver Bierhoff kommt ohnehin niemand vorbei; wenn nicht unerwartete Skandale Erschütterungen auslösen, ist der DFB-Direktor auch mittelfristig eng Mit Der Entwicklung der Nationalmannschaft (oder auch: mit der Entwicklung von »Die Mannschaft«) verbunden.

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