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Die Bahn heizt das Klima an

Viele sehen in der Coronakrise eine Chance – etwa um die dringend notwendige Verkehrswende endlich voranzutreiben. Als vorbildlich in Sachen umweltfreundliche Mobilität gilt die Deutsche Bahn, aber stimmt das auch? Arno Luik, einer der profiliertesten Bahn-Kenner hierzulande, hat auch diesen Mythos in seinem Buch „Schaden in der Oberleitung“ untersucht und zeigt, dass hier Vieles grau ist, was grün sein könnte. Ein Auszug.

 

Die Bahn könnte umweltfreundlich sein. Aber sie ist es nicht. Der Münchner Verkehrsexperte Karlheinz Rößler findet das Eigenlob in dieser Hinsicht »heuchlerisch«. Aber er denkt dabei nicht an die Glyphosat-Giftverspritzerei am Gleisbett, an Strom aus AKWs, sondern an einen Ökofrevel, den wohl nur Wenige auf dem Radarschirm haben: »Sobald Züge im Tunnel fahren«, sagt er, »verliert das System Schienenverkehr seinen Umweltbonus gegenüber der Straße.«

In den engen Tunneln ist der Luftwiderstand im Vergleich zu oberirdischen Strecken enorm. Bei zweigleisigen Tunneln steigt der Energieverbrauch um 50 Prozent, bei eingleisigen Tunnelröhren sogar um bis zu 100 Prozent.

Aber, und das vor allem: Der Tunnelbau selbst ist äußerst unökologisch, da beim Bau viel Zement und Stahl notwendig ist – also Materialien, die bei ihrer Herstellung den Treibhauseffekt, so Rößler, »regelrecht anheizen«.

Das Wort »Beton« kommt in diesem Buch häufig vor. Beton ist eine selbstverständliche Sache, Beton ist allgegenwärtig. Wo gebaut wird, ist meist Beton im Einsatz: Kein Eisenbahntunnel, keine Eisenbahnbrücke, kein Brückenpfeiler kann ohne Beton bestehen. In den Köpfen fast aller Bürger und Politiker ist aber der Gedanke fest einbetoniert, dass Eisenbahntunnel sein müssen, dass sie wichtig und prinzipiell gut sind. Das erfreut natürlich die Beton- und Stahlindustrie.

Wenn es um Umweltverschmutzung geht, denken fast alle an Flugzeuge, Autos, Schiffe. An eine Klimasünde, an die man auch denkt, ist das Abholzen von Wäldern in Brasilien oder in den Tropen, oder auch noch die heutige Intensiv-Landwirtschaft. Die alle müssen sich wegen der Erderwärmung rechtfertigen – zu Recht.

Aber die größten Klimakiller und Umweltverschmutzer stehen nicht am Pranger: Beton und Stahl. Bei deren Produktion werden riesige Mengen von Treibhausgasen freigesetzt, es entstehen auch Methan und Stickoxide – und Letztere haben eine 300-fach stärkere Treibhauswirkung verglichen mit CO2. Die Zementherstellung stößt fast dreimal so viel CO2 aus wie der gesamte Flugverkehr. Wäre die globale Beton- und Zementindustrie ein Land, dann wäre dieses Betonland auf der Liste der CO2-Sünder auf dem dritten Platz – hinter China und den USA.

In einer Studie zu S21 hat Karlheinz Rößler ausgearbeitet, wie viele Tonnen Treibhausgas beim Bau von Tunneln in die Atmosphäre gepustet werden. Er kommt auf folgende beklemmende Zahlen: Ein durchschnittlicher PKW setzt pro gefahrenem Kilometer 176 Gramm Treibhausgas frei. Nimmt man die durchschnittliche Jahresfahrleistung der deutschen Autofahrer von 13.562 Kilometern, so ergibt sich, dass 26.000 Autos dieselbe Menge an umweltschädlichem Treibhausgas freisetzen wie der Bau von einem (!) Eisenbahntunnelkilometer mit zwei Röhren.

Insgesamt werden allein bei S21 über sieben Millionen Tonnen Stahlbeton verbaut – für die vielen Tunnel, für Schienen, Schwellen, für die Betonfahrbahnen. Fast zwei Millionen Tonnen Treibhausgas werden wegen S21 freigesetzt. S21 ist nicht mehr und nicht weniger als ein staatlich subventionierter Klimakiller.

Natürlich ist auch die vor knapp zwei Jahren eingeweihte ICE-Neubaustrecke Nürnberg-Berlin, die Flugpassagiere zu Bahnkunden machen soll, ein Umweltfrevel: »30 Jahre lang«, sagt Rößler, »müssten die mit dem Zug fahren, um den Klimaschaden durch die Tunnelbauwerke zu kompensieren.«

Aber, und das ist das Verblüffende: Selbst bei den großen Klimakonferenzen 2015 in Paris und 2018 in Kattowitz wurde nicht thematisiert, wie umweltschädlich die Beton- und Stahlproduktion ist. Dabei erzwingen die Zahlen eine Diskussion über dieses riesige Problem: Auf über 40 Milliarden Tonnen wird der Jahresausstoß an Treibhaugas weltweit geschätzt. Etwa acht (8!) Milliarden Tonnen stammen ungefähr aus Zementfabriken und Stahlwerken – also ein Anteil von rund 20 Prozent!

Wem die Umwelt am Herzen liegt, wer möchte, dass weniger klimaschädliche Gase freigesetzt werden, muss sich dafür einsetzen, dass viel weniger Beton und Stahl im alltäglichen Leben verwendet werden.

Aber das Gegenteil geschieht. Noch nie wurden so viele Tunnel gebohrt, so viele Brücken über Flüsse und Täler gespannt, so viele Logistikzentren in die Landschaft gefräßt, so viele und so schwere Autos wie heute produziert.

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