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Leichter als Luft

Eine verrückte Zeitreise von 9/11 bis ins heutige gentrifizierte Berlin – so lässt sich Florian Kirners Roman „Leichter als Luft“ auf den Punkt bringen. Es ist ein faszinierender Ritt durch eineinhalb Jahrzehnte Zeitgeschichte mit drei Hauptpersonen aus der Elektroszene, die in einen aberwitzigen Fight mit einem Immobilienkonzern geraten, alternative Medienleute, Neureiche und den mysteriösen Freiherrn von Tadelshofen kennenlernen, bis  alles schließlich in einem wilden Finale endet. Vorgestern wurde das Buch in Berlin vorgestellt, in den Stunden davor hat der Autor diesen Kommentar verfasst.

Gestern habe ich Mathias Bröckers getroffen. Man muss wissen: der arme Mann wird seit vielen Wochen aus allen erdenklichen Ecken unter Druck gesetzt, moralisch erpresst und förmlich gezwungen, meine heutige Buchpremiere in Berlin zu moderieren. Der Herr Bröckers ist nämlich die offensichtliche Idealbesetzung für den Job, also muss er ran.

Mein Buch ist ein Roman. Ein Roman? Im Westend Verlag? Jawohl. Wir leben in der Tat in chaotischen Zeiten, in denen jeden Tag skandalöse Neuerungen über uns alle hereinbrechen. Somit gibt Westend in diesen Tagen zum ersten Mal in der Verlagsgeschichte einen Roman heraus.

Aber natürlich ist dieser Roman – er heißt, wie ich nicht zu verschweigen gedenke: „Leichter als Luft“ – ein hochgradig politischer Roman. Und Mathias Bröckers ist so ziemlich die Gesamtschnittstelle der in diesem Text angelegten Handlungsstränge.

Berliner Kiezkämpfe

Das war gestern schon rein geographisch zu besichtigten. Die Veränderung der Stadt Berlin in den letzten zwanzig Jahren spielt eine bedeutende Rolle in „Leichter als Luft“. Und Mathias Bröckers wohnt seit vierzig Jahren in derselben Wohnung, in einem Kiez, der sich rasant verändert hat. Quasi vom Balkon aus konnte Bröckers beobachten, wie sich die Sache unten so entwickelte, als Berlin zunächst wiedervereinigt, dann zwei Jahrzehnte lang durchsaniert und die einstmals dominante Subkultur an den Rand gedrängt wurde.

Nun bekommt man eine Stadt wie Berlin natürlich nie so ganz in den Griff. Gerade als ich hier in einem Café in Pankow die vierte Stunde damit zubringe, mein heute sehr notwendiges Katermanagement professionell zu vollziehen, fährt eine Klima-Demo vorbei. Es ist ja Freitag. An den Wänden sind immer noch viele politische Parolen zu lesen. Plakate mit der Aufschrift „Sex macht glücklich“ werben für den „Dildo-King“. Man möchte meinen, es wäre alles in wunderbarer Unordnung in der Hauptstadt.

Das meint aber nur, wer das alte Berlin nicht gekannt hat. Ich will hier nicht nostalgisch werden, aber es hat ja auch keinen Sinn, sich über die Verluste, die Berlin kulturell einstecken musste, ins Unklare zu setzen.

„Das war in der zweiten Hälfte der 90er gewesen: Techno war binnen Wochen in die Welt explodiert. Der Bassbeat regierte mit einem Mal die Clubs von der US-amerikanischen Westküste bis Kuala Lumpur. Berlin war jene Metropole, die für das ungeheure Dezibelaufkommen dieser Musikrichtung die nötigen Freiflächen bereithielt: unentdeckte Katakomben, ungesicherte Gebäude und Gebäudekomplexe, ganze Ruinenlandschaften in zentraler Lage. Dieses weite, freie, wilde Land im Osten der Stadt wurde befeiert, was das Zeug hielt.“

Magische Jahre

Auch diese magischen Jahre Berlins hat Mathias Bröckers miterlebt, nicht als Zuschauer, sondern als Beteiligter. Er, der mit dem LSD-Entdecker Albert Hofmann befreundet gewesen ist, fühlte sich in dieser Gegenwelt pudelwohl. Anderen waren diese lauten, ungestümen Elektrohippies ein Dorn im Auge. Sehr langsam, sehr planvoll wurden sie aus dem Herzen der Stadt verdrängt. Das Ergebnis sieht dann so aus:

„Cool war diese Stadt geworden, in der Tat: kühl. Das Chaos wurde konsequent zurückgedrängt. Das pfadlose Land des Molochs war zerschnitten durch die klar definierten Bahnen der Stadtentwicklung, die unter der Ägide eines Wirtschaftssenators der Linkspartei freie Fahrt für Großinvestoren durchgesetzt hatte.

Die Partykönige der Ruinenlandschaften hatte man vom Thron gestoßen. Sie waren jetzt Nomaden der sanierten Gebiete, hin und her gehetzt mit Zwischennutzungsverträgen für die letzten heruntergekommenen Buden oder abgedrängt in Bezirke, die man früher nur vom Hörensagen gekannt und als hauptstädtische Provinzkieze verachtet hatte.“

Verschwörung? Theorien?

Eine weitere Schnittstelle zwischen „Leichter als Luft“ und Mathias Bröckers ist dann das Thema Verschwörungstheorien. Bröckers hat einst das „Lexikon der Verschwörungstheorien“ herausgegeben und kennt allerdings auch die absurdesten und hirnrissigsten Vertreter dieser Theoriegattung. Denn Beispiele eines völlig aus dem Ruder des gesunden Menschenverstandes laufenden Verschwörungsglaubens finden sich immer wieder in seinem Briefkasten.

Auch eine der Romanfiguren in „Leichter als Luft“ verliert sich in bekifften Internetnächten hoffnungslos in den Weiten der alternativen Medien. Und nur die jeweils allerextremste Hypothese zu allen erdenklichen Themenkomplexen besitzt bei ihm noch eine gewisse Chance, als wahrscheinlich durchzugehen.

Dem gegenüber steht eine alternde Linksradikale, die sich sagt: „Hey, früher waren wir das doch immer, die hinter jedem Putsch und jeder Schweinerei die Hand der CIA erkannt haben und das auch belegen konnten! Und jetzt sind wir plötzliche Systemschafe, nur weil wir nicht an die hohle Erde oder die Illuminaten glauben?!“

Diese Frage, was noch real ist und was Fiktion, wo Verschwörungstheorien einfach nur einen naheliegenden Erklärungsansatz darstellen und wo sie ins Absurde abzischen, beschäftigt die Protagonisten von „Leichter als Luft“ nahezu durchgehend. Eigentlich sind wir alle als Medienkonsumenten andauernd beschäftigt mit diesem Dilemma.

26 + 18 = 44

Womit beschäftigt sich dieser Text? Wenn ich ehrlich bin, beschäftigt er sich meinerseits vor allen Dingen mit der Tatsache, dass ich ultranervös bin, wenige Stunden vor meiner ersten Buchpräsentation. Ich habe in der Tat vor achtzehn Jahren, in den unmittelbaren Wochen nach dem 11. September 2001, angefangen, diesen Roman zu schreiben. Damals war ich 26 Jahre alt.

Jetzt bin ich 44 und halte das fertige Produkt in Händen. Ich habe den Epilog, zur großen Freude meines Lektors, erst im Juli 2019 nochmal komplett umgeschmissen und neu geschrieben.

„Leichter als Luft“ hat mich also den Löwenanteil meines literarisch bewussten Lebens begleitet. Jetzt lasse ich das volljährig gewordene Werk hinaus in die Welt und platze vor Neugier und Sorge und Hoffnung, was sich ihm dort wohl begeben wird.

Genug gelabert. Auf, auf zum Kampf.

Ihr und Sie jedoch, liebe Westendgemeinde, seid so gut und erwärmt Euch für diesen weltgeschichtlich allerersten Roman, den dieser wunderbare Verlag verlegt hat.

Es grüßt aus Berlin und hochnervös

Florian Kirner // Prinz Chaos II.

Der Beitrag Leichter als Luft erschien zuerst auf Westend Verlag GmbH.



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