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„Wie konnte man Mensch bleiben?“

In einigen Tagen erscheint bei uns das Buch „Wie konntest du Mensch sein in Auschwitz?“ von Shalom Weiss, einem der letzten verblieben Überlebenden des Holocaust, das bislang nur in einer kleinen Auflage auf Hebräisch erschienen ist. Wir freuen uns sehr, dass dieses wahrlich bedeutende und einzigartige Dokument nun auch auf Deutsch erhältlich ist und hoffentlich noch in viele weitere Sprachen übersetzt wird.

Shalom Weisss

Vor etwa 10 Jahren erschien in Israel ein bemerkenswertes Buch Von Shalom Weiss mit dem Titel Einer aus jeder Stadt. Das Buch wurde geschrieben mit den Augen eines 16jährigen Jungen, neugierig und naiv, ein begabter Talmudschüler, der mit einem Schlag seine Jugend, seine Familie und seinen Gott in Auschwitz-Birkenau verliert. Der Stil ist scharf, sachlich und mit Humor durchtränkt.

Vor zwei Jahren beschloss Shalom Weisss ein Buch zusammen mit seiner Familie zu überprüfen. Neue Erinnerungen fügten dem Buch mehr Tiefe und Farben zu, aus seiner Kindheit im Stetel, die in erstaunlicher Klarheit dargestellt werden. Hinzu kamen auch neue Kapitel, die seine Wanderung durch das zerstörte Europa nach seiner Befreiung schildern und seine „Auferstehung“ im jungen Staat Israel.

Shalom Weiss beschreibt die seelischen und mentalen Vorgänge dieses jungen Überlebenden aus der Hölle, aus der er befreit wurde, und sein Festhalten am Leben in Freude und sein schöpferisches Denken und Tun verdient Bewunderung.

Er kam 1949 nach Israel. Die ersten Jahre des Staates beschreibt er aus dem besonderen Blickwinkel eines jungen Mannes, der neugierig blieb, ein Neueinwanderer, der Hebräisch im „Cheder“ gelernt hat, also in einer religiösen Schule, ein einsamer Soldat, ein Shoa-Überlebender. Sein glühender Zionismus machte ihn nicht blind für die Kinderkrankheiten des neuen Staates. Und trotzdem verschlingt er mit Begeisterung alles, was das Leben ihm schenkt und das beschreibt er in einer Mischung aus Verwunderung, Humor und Liebe.

Mensch sein – Mensch bleiben!

Shalom hat zwei Töchter und zwei Enkel, die alle in therapeutischen Berufen tätig sind. Seit ihrer Kindheit lebten sie im Schatten der Shoa von Vater und Großvater, Mutter und Großmutter. Sie hörten zu und saugten auf, sie fragten und versuchten zu verstehen.

Sie versuchten zu verstehen wie Shalom Weiss überlebt hat und wie er seine Menschlichkeit, sein „Mensch sein“, bewahren konnte. So werden seine humanistischen Standpunkte und seine Erkenntnisse über den Charakter des Mechanismus des seelischen, physischen und mentalen Überlebens in der Hölle und im Leben danach deutlich und auch den Täuschungen und Illusionen dieses Mechanismusses des Selbstschutzes und der Erinnerung ist er auf der Spur.

Generationsbuch

Schließlich, der letzte Teil des Buches: Mit den Überlebenden aufwachsen, besteht aus den Aussagen und Reflexionen der Töchter aus der Zweiten Generation und beschreibt deren persönlichen Erlebnisse als Kinder, die in einem Haushalt von Überlebenden aufwuchsen, sozusagen im „Schatten der Shoa“. Die inzwischen erwachsenen Enkel beschließen das Buch mit der Beschreibung ihrer Eindrücke als Dritte Generation.

Das Lesen dieses Buches bereichert seine Leser sowohl vom literarischen Standpunkt, als auch vom Standpunkt der Erforschung des menschlichen Geistes, da es ein Dokument ist, das einen Menschen begleitet, der übermenschliche Prüfungen besteht: die Entwicklung der Persönlichkeit des kleinen Jungen in einer orthodoxen Gemeinde und die Gefahr des Zusammenbruchs dieser Persönlichkeit als Häftling im Todeslager, seine langsame Rückkehr ins Leben, in den Jahren nach dem Krieg, seine Eingliederung in Israel und seine erstaunliche Selbstheilung. Die psychologischen Blickpunkte, die Entwicklung der Beziehungen innerhalb einer Familie von Überlebenden werden ebenso beschrieben und gedeutet mit Hilfe der Stimmen der Zweiten und dritten Generation und schaffen die Einmaligkeit des kompletten Buches, das von einem begnadeten Künstler geschrieben ist, der das menschliche Antlitz und seinen Humor während des ganzen Weges bewahrt hat.

„Wie konntest du Mensch sein in Auschwitz?“ ist nicht nur die Geschichte eines Knaben, außergewöhnlich mit seiner Klugheit und Menschlichkeit, und auch nicht die Geschichte einer Familie, sondern die Geschichte einer ganzen Generation, ihre schreckliche Geschichte, aber sie gibt auch Einblicke in das Judentum in Osteuropa, und beschreibt die unglaublichen Kräfte, Kräfte von Hass und Zerstörung, aber auch Kräfte von Liebe und Auferstehung, die in uns allen verborgen sind.

David Grossmann

Und David Grossmann, international bekannter Schriftsteller und Friedensaktivist schrieb über das Buch von Shalom Weiss an dessen Töchter:

Shalom Rivka und Ilana, Shalom,

Danke, dass ihr mir das Buch eures Vaters Shalom Weiss geschickt habt.

Ich habe es gelesen und es hat mich sehr ergriffen. Euer Vater schreibt in einer Art, die bis zu den Wurzeln der Seele reicht. Und aus den Erzählungen und der Art zu schreiben steigt das Bild eines klugen, scharfsinnigen, ernüchterten und gleichzeitig idealistischen und ethischen Menschen, eine absolut wundervolle Mischung.

Besonders die fast trockene Beschreibung, das Fehlen jeder emotionalen Äußerung aus der Zeit in Birkenau, die ausgerechnet nach der lebendigen, bunten und fühlbaren Beschreibung der Kindheit im Stetel – bricht das Herz.

Der Abschnitt am Ende, als Euer Vater sagt, das ihm „die Totengräber leidtun“ (die besiegten Nazis) und sein Bruder sagt „Wir haben sie endlich besiegt. Mit diesen Worten haben wir sie besiegt“ – ist eine scharfe Essenz dessen, dass wenn wir versuchen sollten es mit Worten zu erklären, würden wir es zerstören. Aber diejenigen unter uns, die sich daran noch erinnern können, wissen ganz genau, dass es das Wichtigste war.

Der Text ist in meinen Augen wunderbar, genau, voller Gefühl, manchmal lustiger durch die dünne Ironie, die es hat. Es ist ein Text entstanden, der sowohl jüdisch wie auch israelisch ist. Und ich fühle, dass ich daraus viel gelernt habe, und dass dieses Buch mich von jetzt an begleiten wird.

Danke und warmen Gruß an euren Vater,

David Grossmann

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