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Freitagspost: Wie lebt es sich in einem armen Bundesland?


Die Einkaufsstraße ist ein einziges Flickenmeer aus Asphalt. Wo einst mal schöne Platten den Boden verzierten, sind nun überall Flicken. Betonflicken. Notdürftig repariert, nicht schön anzusehen. Riesige Gebäude stehen leer und sind verlassen, der kleine Park an der Kirche in der Stadt muss immer wieder schließen, weil zu viele Drogensüchtige und Alkoholiker die Grünfläche verunreinigen.

Wir Sind Das Bundesland mit den meisten Prostituierten. Wir sind das Bundesland, wo die Frauen am jüngsten sterben. Unsere Wirtschaft ist genauso schwach wie in den früheren Ost-Bundesländern. Wir gehören zu den unglücklichsten Bürgern Deutschlands. Wir haben die meisten Arbeitslosen und die meisten Kranken. Wir sind das Saarland. Das ist keine persönliche Einschätzung, sondern Fakten, die in der Saarbrücker Zeitung stehen. Laut Focus ist auch das Armutsrisiko bei uns sehr hoch. 



Die Geisterstadt Völklingen

Vergangene Woche besuchte ich das nah gelegene Völklingen, offen gesagt waren wir auf der Suche nach Lost Places. Wir hätten auf Anhieb in zwei, drei leerstehende Häuser gehen können (es war mir nur zu unheimlich). Das waren keine kleinen Häuser. Es waren riesige ehemalige Banken und Kaufhäuser. Nicht außerhalb, sondern in der Hauptstraße. Fast die komplette untere Hauptstraße in Völklingen ist verwaist, menschenleer und voller Ruinen. Es ist ein bisschen wie in einer Geisterstadt. Dabei befindet sich ein riesiger Konzern in Völklingen mit Saarstahl, der eigentlich viele Arbeitsplätze schafft.


Wie es sich anfühlt, in Neunkirchen / Saar aufzuwachsen

Es war für mich normal, wenn mich fremde Leute auf der Straße verprügeln wollten, wenn ich sie "zu lange angeschaut" habe. Oder einfach so. Normalität, wenn Drogen auf dem Schulhof kursieren, Jungs in den Jugendknast gehen. Ein Schulfreund von mir hat nach dem Krieg in Afghanistan seine Freundin ermordet. Zwei andere Neunkircher Jungs sind in den Dschihad gezogen. Es gehörte in meiner Jugend zum Trend, in Läden einzubrechen und Diebstähle zu begehen. Es war normal. Das ist keine Übertreibung und diese Kids waren teilweise auf dem Gymnasium und aus keinen schlechten Familien. Es war einfach so üblich. 

Das Saarland galt in meiner Jugend auch als Mafia-Hochburg, ob das immer noch so ist, weiß ich nicht. Wir hatten einige hochrangige Mitglieder der italienischen Mafia rund um Neunkirchen. 





Die schönen Seiten im Saarland

Natürlich gibt es schöne Seiten im Saarland, es gibt sogar wunderschöne Seiten im Saarland. Ich bemühe mich, sie auf dem Blog zu zeigen. Der Bliesgau, die Villa Borg, die Saarschleife, der Bostalsee. Die schönen Seiten, das ist hauptsächlich in der Natur zu finden, denn da hat das Saarland wirklich etwas zu bieten. Teilweise sieht es hier im Bliesgau oder im Norden wirklich beeindruckend aus. Die Universität des Saarlandes hat außerdem einen hervorragenden Ruf.

Dennoch sitze ich am Wochenende meistens zu Hause, wenn ich nicht gerade verreist bin. Weil die Kinos total heruntergekommen sind, oder weil ich keine Lust habe schon wieder in die traurige Innenstadt zu gehen. Weil in den wenigen Clubs die es noch gibt, einfach zu viele Drogen kursieren. Weil selten gute Konzerte bei uns stattfinden. Da ist einfach nichts. 



Wie ist es also, in einem armen Bundesland aufzuwachsen?

Natürlich kenne ich es nicht anders. In meiner Grundschule machten die Lehrer so lange Pause wie sie wollten, statt Unterricht gab es zahllose Kopien und die meisten Mitschüler konnten kein Deutsch sprechen. Ich habe angefangen zu arbeiten als ich 14 Jahre alt war, da habe ich Nachhilfe gegeben in sozial schwachen Familien in Neunkirchen oder Flyer von Nachhilfestudios verteilt. Zeitweise hatte ich sogar einen Vollzeitjob im Büro und einen Nebenjob im Nachtclub, also sozusagen immer gearbeitet. Im Club waren übrigens extreme Schlägereien an der Tagesordnung, besonders bei HipHop, was es auch nicht so angenehm gemacht hat.

Natürlich leben wir im Saarland immer noch sicher und müssen nicht ständig Angst haben, es ist kein Brennpunkt wie beispielsweise die Frankfurter Bahnhofsgegend. Ich weiß es nicht, ob man hier bei uns glücklich werden kann. Doch ich weiß, dass es keineswegs leicht war, hier aufzuwachsen.







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