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Native Instruments, Pioneer und Ableton: Wie DJ-Technik-Kapitalismus subkulturelle Innovationen beeinflusst

In meinem Artikel darüber, warum ich aktuell am liebsten mit Pioneer CDJs auflege, echauffierte ich mich über den sogenannten DJ-Technik-Kapitalismus von Firmen wie Native Instruments oder Ableton – und warum er subkulturelle Innovationen behindert. Nachdem dazu in den sozialen Netzwerken diskutiert wurde, will ich nun etwas genau beschreiben was ich damit meine.

Vielen von euch wird bereits bewusst sein, worüber ich spreche: Mit der Digitalisierung hat sich ein digitaler DJ-Technik-Kapitalismus entwickelt, der die 1990er noch mal um einiges toppt. Viel neue leistungsfähige Technik entstand und entsteht beständig. Am Anfang fand ich es noch sehr spannend, legte mir selbst Serato Scratch zu spielte damit insgesamt ca. 3 Jahre. Auch den ein oder anderen Traktor-Controller probierte ich, aber merkte irgendwann, dass das alles nur halb so viel Spaß macht wie selber mixen mit CDJs oder Plattenspielern. Aber gut dachte ich mir, jeder wie er oder sie eben will.

Aber in der Zwischenzeit hatte sich da etwas herausgebildet und entwickelt, wie man es eigentlich nur auf anderen hoch kompetitiven Technologie-Märkten (z.B. Smartphones, Tablets) kannte: Jedes Jahr ein neues Device, ständig Updates, immer schnellere Produktzyklen, steigende Preise – und eine Welt an DJs, die das alles mitmacht und jede noch so kleine Produktänderung der Industrie als Innovation beklatscht und kauft.

Merkwürdigerweise spiegelte die rasante technologische Entwicklung in kaum einer Weise die spaßkulturelle Stagnation Auf Dem Dancefloor wieder. Seit 30 Jahren mixen wir bei House und Techno (Elektronische Tanzmusik, Clubkultur, Chicago House/Detroit Techno) immer noch Track an Track und packen ein paar Effekte drüber, für den Spaß auf dem Dancefloor spielt es bis heute keine Rolle mit welchem Gerät die Musik fabriziert wird. Und zu allem übel beklagt man sich auch noch häufig, dass sich vieles gleich an hört und jeder dasselbe macht. Es gibt also scheinbar eine große Diskrepanz zwischen kultureller und technologischer Entwicklung.

Die Stagnation kultureller Entwicklung ist kein Problem

Erst mal muss ich sagen: Dass sich kulturell gar nicht mehr so viel entwickelt (bzw. nur in Minischritten), ist erst mal kein Problem. Die Stagnation wird erst in einer kreativistisch-spätmodernen kapitalistischen Gesellschaft zu einem Problem gemacht, weil viele davon ausgehen (und die Märkte es strukturell erfordern), dass sich ständig alles ändern soll und muss. Auch die Technokultur missversteht man in diesem Zusammenhang gerne als “Kreativszene.” (Zur Kritik des Kreativismus siehe hier.)

Techno jedoch ist als kulturelle Praxis reif und erwachsen, sie ist durchdefiniert und bereitet den aktuellen Generationen große Freude. Sie hat ein bestimmtes Verführungsprinzip entwickelt, und das produziert Techno-Clubkultur nun am laufenden Band. Techno lebt als kultureller Raum ganz wesentlich von seiner beständigen Ähnlichkeit, seinem Dauerselbstremix. Irgendwann wird Techno vielleicht nicht mehr dem Sound der aktuellen Generationen entsprechen und ins Nischendasein wechseln. Vielleicht wirds ja auch der nächste Jazz, mal schauen. Aber erst mal boomt Techno weltweit wie nie zuvor.

Der DJ-Technik-Kapitalismus

Ständige Innovation braucht hingegen der DJ-Technik-Kapitalismus von Native, Pioneer & Ableton, weil er wie eine Industrie funktioniert und nicht wie eine Musikszene. Bei Musikszenen gehts im Kern um qualitativen Spaß für sich und andere. Eine eigene subkulturelle Szenewirtschaft reproduziert und grenzt sich ab jenseits der klassischen Musikindustrie. Beim DJ-Technik-Kapitalismus gehts um hohe Profite und Überleben an einem hoch kompetitiven und szenefernen globalisierten Technikmarkt. Innovation muss sich an Verwertungszwängen orientieren, Produktentwicklung wird durch Absatzzahlen und Profite gerahmt. Firmen wie Native Instruments oder Ableton folgen den Logiken und Rahmenbedingungen einer Industrie, nicht einer Musikszene. Obwohl viele ihre Köpfe und Mitarbeiterinnen in szenenahen Kontexten stecken oder ihnen entspringen, folgen sie in den Firmen keinen Szenelogiken – sondern verstehen Musikszenen, egal welche, zuerst als Absatzmärkte. Der Technologie-Optimismus vieler Akteurinnen, die selbst zum Teil in Szenen verwurzelt sind, verschmilzt mit dem ästhetisierten Kapitalismus der Gegenwartsgesellschaft und schafft neue Produkte und Funktionen am laufenden Bande.

Bei vielen DJs und Musikproduzenten hat der DJ-Technik-Kapitalismus dankbare Abnehmerinnen gefunden, die jedes gute Marketing und jede kleinste Funktionsneuerung/Verbesserung annehmen – in der Hoffnung dadurch selbst kreativ zu sein oder anders auflegen zu können. Aber Innovativität in Musikszenen durch beständig neue Technologien aus der Industrie ist oftmals leider ein Irrglaube, es behindert sogar kulturellen Wandel. Muss nicht zwangsläufig so sein, in der Geschichte gibts einige Gegenbeispiele. Aber aktuell sind DJs zumeist vor allem nur Konsumenten neuer Technologien, und weniger die historisch-subkulturellen Innovatoren. Sie bezahlen die typischen kapitalistischen Zwänge der globalisierten Musiktechnikindustrien, weil sie glauben (und geschicktes Marketing dafür bezahlt wird das immer wieder erfolgreich zu suggerieren), dass die gute und spannende neue Musik durch beständige Funktionserneuerungen seitens der Industrien entstehen werden – und sie sich damit schließlich selbst verwirklichen können.

Beispiel: Ein Modus subkultureller Innovation

Elektronische Tanzmusik, und Vor Allem was man in den 80er im Nachhinein als “Disco” titulierte, entstand damals durch umher experimentierende und szeneorientierte DJs, die Songs und Technik anders benutzen als es eigentlich von Industrien und Interpretinnen vorgesehen war. Tracks entstanden, indem DJs Rhythmuspassagen von Songs aneinander schnitten und langsam begriffen, dass das Publikum besonders die rhythmischen Passen schätzte. Die DJs suchten sich fortan Songs mit längeren Rhythmuspassagen und cutteten sie aneinander. Irgendwann entwickelte die Industrie die 12″, die dem ganzen den technischen Rahmen gab und langsam entstanden Songs, deren Idee es wurde nahtlos im Mix miteinander verbunden zu werden – und Trackmusik war geboren. Die Industrie kam dort erst später ins Spiel, verfeinerte das ganze und half bedeutsam bei der Ausgestaltung (12″, professionelle Mixer, basslastige Soundanlagen, etc).

Mit zunehmenden DJ-Technik-Kapitalismus aktuellen Zuschnitts verlieren wir diese Formen subkultureller Innovativität. Und damit überhaupt auch ein ganz anderen Verständnis von Innovation überhaupt: Innovation, die keinen Märkten dienen muss, sondern selbstgerecht, subjektiv, low-level, kunstvoll sich der Muse und dem Spaß verpflichtet und nicht primär industriellen Verwertungszwängen untergeordnet ist.

Vergessen wir dabei nicht: Subkulturelle Innovation und industrielle Konsumgüter gehören in westlichen Gesellschaften genauso zusammen, wie das letztere das erstere behindern kann. Gerade bei elektronischer Musik gilt: Keine Musik ohne Technik, kein Sound ohne Anlage, keine Szene ohne industrielle Massenproduktion. Aber gerade leben wir in einer Zeit, in der DJs und Musikproduzentinnen zunehmend mit geschicktem Marketing, Versprechen auf individuelle Innovativität und inszenierter Szeneanbindung die inneren Abhängigkeiten und Zwänge hochkompetetiver industrieller Märkte bezahlen – anstatt sich szenebasiert ihrer Muse zu widmen.

Der Modus der DJ-Technik-Kapitalismus-Innovation

Der Modus subkultureller Innovation ist heutzutage zunehmend schwierig, da DJs sich immer mehr in den marktgerecht produzierten Innovationsspielräumen bewegen, die ihnen die DJ-Technik-Industrie bereitet und vermarktet. Hier eine neue Funktion, dort ein Update, dazu noch ein tolles Marketing-Video mit bekanntem DJ-Stars. Schon sitzen die Szene-DJs im goldenen Technik-Käfig. Anstatt ihrer historisch-musikkulturellen Innovatoren- und Unterhalterinnenrolle nachkommen zu können, beschäftigen sie sich mit immer hochpreisigeren Gadgets, spielen mit wohldesignter Hardware rum, klicken sich durch Einstellungsmöglichkeiten und suche dort nach Möglichkeiten irgendwie irgendwas anders zu machen. Dabei waren es, historisch gesehen, gerade die experimentellen Praktiken jenseits der Instrumentenindustrie, die die große musikalische Revolution elektronischer Tanzmusik im Disco vollbrachte. Und dieses kulturelle Jenseits ist heute, so ist mein Eindruck, droht zunehmend in die Bedeutungslosigkeit zu rücken. Die technologische Digitalisierung der Gesellschaft ermöglicht so vieles – schade, dass Szenen auch hier nicht mehr versuchen ihre eigenen Wege zu gehen. Schade für sie, aber schade vor allem auch für die Musikfans und Dancer.

“Wozu dieser Artikel?”

Wurde ich von einigen gefragt. Nun, gewissermaßen scheint er, das entnehme ich der polarisierten starken Diskussion im Netz, einen Nerv getroffen zu haben. Manche Technik-Nerds fühlen sich vielleicht ertappt (und somit auf den Schlips getreten), die Marketing-Cracks empfinden ein enges Verhältnis von DJs/Musikproduzentinnen und Herstellern sehr wichtig und können partout nicht verstehen, was dieser Artikel überhaupt sagen möchte.

Dass Konsumentinnen und Hersteller prinzipiell schon rein strukturell nicht dieselben Interessen verfolgen (die einen interessieren sich für das Produkt, die anderen vor allem für den Verkauf des Produkts), scheint im DJ-Technik-Kapitalismus nicht so recht angekommen. Da ist es doch mal an der Zeit diese romantisierte Beziehung zwischen Technikindustrie und Szeneproduzenten unter die Lupe zu nehmen und sich reflexiver mit der Instrumentenindustrie zu beschäftigen. Diese Debatte scheint es in der Musik aktuell kaum zu geben: Eine kritische Reflexion der Rolle von Instrumentenhersteller in Musikszenen: Zwischen Massenermöglicher, Marktzwängen und den subkulturellen Interessen von Musikszenen.

Quellen/Material/Belege für die Thesen:

  1. Buch “Die Wirtschaft der Techno-Szene” (2016)
  2. Diplomarbeit “Wie entsteht Neues bei der Produktion elektronischer Tanzmusik in Homerecording-Studios” (2009)

(Hin und wieder aktualisiere ich den Text.)



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