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Ich war krank und ich sehe die Welt mit anderen Augen

Tags: mein leiden mich

Mich plagten pausenlos Schmerzen. Es waren nur zwei Tage. Trotzdem wollte ich sterben.

Es war nur eine böse Erkältung in Coronazeiten. Die Tabletten gegen Kopfschmerzen wirkten nicht. Anfangs saß ich noch im Bett und nahm mir die Zeit, über Thiamin zu recherchieren, denn ich hatte es mir zum Projekt gemacht, in den Sommerferien über alle Vitamine Bescheid zu wissen.

Die Kopfschmerzen gingen nicht. Husten, Schnupfen, Schüttelfrost kamen hinzu. Drei Stunden stand ich im Bad, hatte Nasenbluten, das, kaum geendet, wieder anfing.

Noch schlich sich die Angst nur langsam an. Nachts konnte ich nicht schlafen, wachte dauernd auf, blieb stundenlang wach. Am nächsten Morgen war ich fix und fertig. Mein Kopf dröhnte pausenlos, ich hatte mit dem Üblichen zu kämpfen. Legte ich mich hin, wurden die Kopfschmerzen stärker, deshalb lief ich die ganze Zeit unruhig hin und her, obwohl ich total kraftlos war.

Das ging so bis zum Abend. Da bekam ich es mit der Angst zu tun. Ich konnte mir kaum mehr vorstellen, wie es war, einen kühlen Kopf zu bewahren, klar denken zu können.

Ich war sauer und jegliche Lebensenergie war mir entwichen. Da schrieb ich alles auf, was mir in den Sinn kam:

Nichts ergibt Sinn. Niemand nimmt etwas wichtig. Leben bedeutet Leiden.

Letzten Endes werde ich leiden. Letzten Endes werde ich sterben.

Wenn ich sowieso sterben werde, was ist mein Kämpfen dann wert? Etwas wichtig zu nehmen ist sinnlos, denn am Ende sterben wir. Alles, was ich erschaffe, baue, wichtig nehme, ist sinnlos.

Warum tue ich all das? Warum lasse ich mich leiden? Es gibt kein Ziel, das mich rettet, denn letzten Endes ist das Ziel immer der Tod. Sobald ich nichts bin, kann ich nicht mehr leiden.

Wann endet das Leiden? Was sollte ich jetzt tun? Ich fühle mich verdammt machtlos.

Aber wenn ich es durch das hier schaffe, kann ich nicht mein Leben so fortsetzen, als sei nichts gewesen.

Leiden, echtes Leid ändert dich.

Meine Kopfschmerzen ließen nach und ich wusste, dass ich diese Nacht schlafen können würde. Am nächsten Tag ging es mir wesentlich besser, aber meine niedergeschriebenen Zeilen konnte ich nicht vergessen.

Was für Luxusprobleme

Man stelle sich vor, wie die Menschen früher leiden mussten. Wie sie krank von ihren Mitmenschen zum Schutz aller zurückgelassen wurden. Wie Menschen täglich niedergemetzelt wurden. Täglich mit Angst zu kämpfen hatten.

Was habe ich bitte schön für Luxusprobleme? Was mache ich mir Gedanken über das Abitur, was bemitleide ich mich selbst, wenn andere doch so viel mehr leiden mussten und gerade leiden müssen?

Ich werde permanent bedient (mein Föhn, mein Thermomix, meine Spül- und Waschmaschine). Ich habe mehrere eigene Orchester (mein Handy, mein Radio, mein Laptop, meine Musikbox…) und so viele Möglichkeiten, mich zu bilden (Schule, Stipendium, Internetzugang). Ich brauche nicht täglich vor meinem Tod zu fürchten (ein Dach über dem Kopf, Leben in einem recht sicheren Land, …). Im Prinzip lebe ich heute, wie früher Königinnen lebten. Wenn nicht sogar besser, denn ich wurde nicht zwangsverheiratet und mein Freund hat auch keine Mätresse neben mir. Ich habe nicht die Verantwortung und die Schranken, denen Königinnen unterlagen. Ich habe heute als Frau so viele Möglichkeiten.

Mein Leid ist minimal und ich weiß es nicht zu schätzen. Die Freuden der Vergangenheit sind der Alltag der Gegenwart.

Heute besteht die Herausforderung darin, in all dem Luxus noch einen Sinn zu sehen. Zu wissen, was man will und sich nicht ablenken zu lassen.

Wie winzig erscheinen diese Herausforderungen doch angesichts derer, mit denen meine Ahnen zu kämpfen hatten!

Ich schäme mich für mich selbst. Und bin dankbar für meine mikrigen Probleme.



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