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Arno Schmidt: Die aschengrube Welt


Aus dem Leben eines Fauns

Literatur muss Spaß machen und beim Wiederlesen sind die Erzählungen und insbesondere die frühen(Kurz-)Romane Arno Schmidts stets Quelle neuer Entdeckungen und ob seines ungebändigten Wortwitzes auch eine helle Freude.

Arno Schmidt, geboren 1914 in Hamburg, gestorben  1979 in Celle, der Außenseiter noch der literarischen Außenseiter gilt gemeinhin ja als schwierig, eine Menge von Exegeten ist mit seinem Werk, insbesondere dem legendären Text ZETTELS TRAUM befasst und nicht selten wird er auch der deutsche Joyce genannt, alles etwas vorschnell dahingesagt, oft werden in der Literaturkritik -wenns Ungewohntes zu beurteilen gilt- die Namen Joyce und gerne auch Kafka aus der Schublade geholt. Nein. Ich halte Schmidts Stil und Formgebung seiner Texte für so einzigartig, dass man allgemein gehaltene Vergleiche mit anderen Autoren seiner Zeit kaum anstellen kann.

Arno Schmidt; Quelle: Arno Schmidt Stiftung Bargfeld

Der Roman „Aus dem Leben eines Fauns“ ist thematisch und zeitlich der erste der Trilogie „Nobodaddy’s Kinder“, erstmals erschienen 1953; man mag es kaum glauben, wieviel Mut und Experimentierfreude bei diesem Autor zu finden war zu einer Zeit, da von Trümmer-bzw Kahlschlagliteratur gesprochen wurde und Schmidt noch weit davon entfernt war, von seinen Büchern leben zu können. Immerhin hatte er für seinen Erstling „Leviathan“ 1950 schon den Großen Literaturpreis der Akademie der Wissenschaften und der Literatur bekommen.

Rastertechnik

Der Roman ist in drei Teile gegliedert, überschrieben mit den Kalenderdaten

I Februar 1939/ II Mai-August 39/ August-September 1944.

Wir erfahren vom kleinen Leben des Landratsamt-Beamten Heinrich Düring, einmal in seiner Rolle als  dienstbeflissener Beamter, der sich mit Mutterkreuz-Anträgen und Passverlängerungen herumschlägt, hören von seinem Pendlerleben in Zügen und Wartesälen, in der Vorkriegs-Alltags-Ehe-Szenerie: Die aschengrube Welt.  Und -als Ansatz zu einem Doppelleben- präsentiert  der Ich-Erzähler Düring  seine Traumwelten, sein Leben in der Phantasie, da versucht er,  die Existenz eines desertierten Soldaten Thierry der Napoleonischen Armee nachzuleben, genannt der „Faun“(Waldgeist), der in einer Hütte im Schilfwald lebt und dort  seine Geliebte trifft.

Arno Schmidt schreibt mit vollem Einsatz aller verfügbaren Sprachmittel, visuellen und phonetischen Wortspielen, Dialekteinschüben und fremdsprachigen, meist englischen Ausdrücken. In einer Rastertechnik, wobei der Erzählstoff in meist kürzere Prosaabschnitte strukturiert und aufgeteilt wird. Die ersten Worte eines Rasters werden dabei kursiv dargestellt, das sieht dann wie im „Faun“ beispielsweise so aus:

Früh heut die Dämmerung. (Schönert hatte den Wetterbericht gehört und weissagte Eintrübung und regnerisch). Die Tischlampe färbte die grünen Formulare noch mabusischer (I seen him serve the Queen/ in a suit of rifle-green), und Otte brachte mir die Mappe mit 500 Unterschriften; wieder mal; er hatte sie fertig gestempelt (irgend ne Anweisung an alle Gemeinden; zum Aushängen), und er half mir, wortlos und auch schon Stachanow. „I.A.Düring“. „I.A.Düring“. Fünfhundertmal. (Und dann beneidet man uns noch um die Pension ! Mein lieber Mann !)

Alltag

Durch Hinweise auf aktuelle historische Begebenheiten (z.B. Krankheit des Papstes, Pakt mit Sowjetrussland) und die detailreiche Form des Erzählens bekommt der Leser den Eindruck von Tagesnähe und Realität, und da bei Arno Schmidt stets Ich-Erzähler agieren, ist der Leser natürlich versucht, im Text autobiografische Komponenten des Autors auszumachen; Dürings literarische Präferenzen, Autoren wie August Stramm, Alfred Döblin, die Romantiker Wieland, Schnabel, Fouque sind ja bekanntermaßen auch die von Schmidt.

In den ersten beiden Abschnitten insbesondere wird mit einer gehörigen Portion Sarkasmus und Ironie der Alltag der NS- Zeit geschildert, Aufmärsche , die Propagandaberieselung im Rundfunk, das Absingen von Liedern, Bürogeschwätz, das Ganze immer wieder durchbrochen von Naturschilderungen, expressionistisch eingefärbt, und immer wieder: der Mond, der Mond. Düring ist wie viele seiner Mitbürger eine zerrissene Persönlichkeit, einerseits hasst er das ganze Nazitum(SA, SS, Militär, HJ undsoweiter: die Menschen sind nie lästiger, als wenn sie Soldaten spielen), andererseits möchte er seine Beamtenlaufbahn nicht gefährden und  lässt sich ein auf die allgemeine angepasste Haltung:

Die Menschen gebärdeten sich wie Fahnen; ihre Lippen flatterten, ihre Hände klatschten, Manche rannten wirbelnd vor Anderen her. An den offenen Fenstern sotten und kochten die Radiogeräte ihre Knackmusik, in die sich schon grauer Wind mischte…Und im Volke überall die ruhige glückliche Überzeugung: der Führer wirds schon machen!

Realitätsflucht

In Träumen und in Ersatzhandlungen (Arno Schmidt hat sich gründlich mit Freud befasst)-in einer Hütte im Moor trifft er sich mit seiner Geliebten- versucht er seiner inneren Zerrissenheit, Ratlosigkeit und Unsicherheit Herr zu werden. Er sucht einen Zufluchtsort( und kein Radio, keine Zeitung, kein Volk, kein Führer !) und findet eine Verbündete in  Literatur und in der Natur. Die Naturbeschreibungen, entsprechend der jeweiligen Gemütsverfassung Dürings sich wandelnd, poetisch, idyllisch bis bedrohlich und schwermütig, sind einzigartig:

Das helle Dorf: es schlug erwachend alle blanken Fenster auf; jedes Haus krähte wie ein Hahn, und Gardinen wippten dazu mit den pastellenen Flügeln. (Eine hatte dicke rote Punkte drauf; hübsch, über geblähtem Hellgelb).

Büsche in seegrünen Schuppencapes erschienen an allen Wegen, und winkten mich zitternd und sehnsüchtig tiefer die Straße entlang; standen als Zuschauer am Wiesenrand; machten schlanke Gymnastik; wischelten lüstern auf Chlorophyllzungen, oder pfiffen plötzlich laute Triller; die Büsche.

Vertreibung aus dem Paradies

Aber dann erfahren wir von einer Vertreibung aus dem Paradies: Dürings Hütte wird entdeckt, und weil dort Deserteure vermutet werden und die Behörde schon alarmiert ist-Dürings Landratsamt- muss er das „Chateau Thierry“ niederbrennen, um die Spuren seiner ganz privaten Flucht zu tilgen. Düring drückt sich so aus:

Heutzutage kann man nur noch halb entkommen. Bei der dichten Besiedelung ! (Oder anders: man muß sich teilen; doppelt leben; verbrennt dann schneller. Fern jedem Christenparadies).

Auch Arno Schmidt wollte, in einer Art Weltflucht, abgeschlossen von der Welt, sein Leben ganz der schriftstellerischen Arbeit widmen. Seine späteren Dystopien SCHWARZE SPIEGEL oder KAFF auch MARE CRISIUM sind auf das Weltverständnis gegründet, dass die Nachkriegszeit nur eine Zwischenzeit sei bis zum 3. Weltkrieg, der dann ein Atomkrieg sein würde.

Und so wird auch im dritten Teil des FAUN ein Bombenangriff geschildert auf die Munitionsfabrik Eibia, welcher in der Nähe von Dürings Wohnort stattfindet, noch einmal zieht der Autor alle Register an Wortwitz und surrealer Textgewalt, Assoziationen, welche die Postmoderne vorwegnehmen und den Expressionismus fortführen, ein magischer Realismus, ein Weltuntergangs-Szenario aus Worten und Sätzen:

Ein steifer Mann erschien am Himmel, in jeder Hand einen Hochofen: er prophezeite so Tod und Tod, daß ich an meiner Hand schob, und die Knochen dunkel durchs feurige Fleisch sah. Zwei lange Lichtschenkel steppten jene Mauern nieder; die Straße erbleichte davor und schmolz zum Teil. Auf Bahren trug man viele schwarze schmierige Koffer vorbei; die Arbeiter der dritten Schicht, erklärte der oberste Kondukteur, und setzte sich wieder mit wehender Zunge an die stumme Spitze. Meteore zogen hupend durch die obere Luft; Bauernhäuser schüttelten sich vor Lachen, daß die Schindeln heruntersprangen; Feuerkünste spielten überall gottvergessen und Funkenfontänen geyserten.

Wer Arno Schmidt noch nicht kennt, dem empfehle ich als Einstieg die frühen Romane. Ich weiß aus manchem Literaturblog, für seine Sprachschöpfungen, die absichtlich fehlerhafte Orthographie, den Spott, manchmal auch seine Rechthaberei und seine Neigung, weit abzuschweifen, sind längst nicht alle Leser zu begeistern. Und es ist meiner Ansicht nach nicht nötig, unbedingt jedes Detail, jeden Einschub aufs Erste zu verstehen, oft handelt es sich lediglich um einen Gag, der Rhythmik wegen oder aus sprachlichem Übermut eingefügt, aus spielerischer Freude an der Sprachhandhabung, wie wir dies heute z.B. bei Autoren wie Thomas Pynchon oder Foster Wallace vorfinden.  Die Wörter und Sätze verlieren bisweilen ihren herkömmlichen, logisch-begrifflichen Sinn, ein Zeichen für den Bruch mit dem Realen, mit der Welt des Bürgerlichen Lebens. 

Die 4-bändige, leider nicht mehr erhältliche  Arno Schmidt Studienausgabe des Haffmann-Verlages, ist bei mir immer griffbereit. So wie hier liest man die Welt in anderen Büchern nicht!

 Weitere gute Besprechungen, Kurzbiografien und Interessantes habe ich gefunden bei den Literaturblogs

https://katerpaul.wordpress.com/2011/01/02/arno-schmidt-und-seine-katzen

https://libroscope.wordpress.com/2013/10/14/der-schriftsteller-als-fotograf-i-arno-schmidt/

https://litos.wordpress.com/2010/10/27/arno-schmidt-und-hermann-hesse/


Einsortiert unter:Deutsche Literatur

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