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Merkels Mauerfall

Nun kommt sie also doch. Nachdem sich die Unionsparteien seit Jahren gegen die Einführung der Ehe für alle gesträubt haben, ist der Weg frei für eine Abstimmung im Bundestag. Möglich wurde dies durch einen der seltenen kommunikativen Ausrutscher von Kanzlerin Angela Merkel: In einem geradezu Günter Schabowski-haften Moment erklärte Merkel am Montag bei einer Gesprächsveranstaltung mit Redakteurinnen der Zeitschrift Brigitte, sie wünsche sich eine Diskussion, „die eher in Richtung einer Gewissensentscheidung geht“. Damit rückte sie zum ersten Mal von ihrem Nein zu einer Öffnung der Ehe auch für nicht-heterosexuelle Paare ab. Und die SPD? Erinnerte sich plötzlich der seit langem bestehenden Mehrheit links der CDU für die Eheöffnung und kündigte an, noch in dieser Woche eine Abstimmung im Bundestag ansetzen zu wollen. Damit kommt es nun also vermutlich bereits am Freitag zur Abstimmung. Eine Zustimmung im Bundestag gilt als sicher. Um es mit Schabowski zu sagen: Die Ehe für alle kommt nach meiner Kenntnis… ist das sofort, unverzüglich.

Hat sich Merkel also mit Ihrem Sinneswandel geschadet?

Nun ja. Wer die Unionsparteien vorher aus Prinzip nicht gewählt hat, dürfte sich von dieser Kurskorrektur auch nicht in ihren Schoß treiben lassen. Auch werden sicherlich nicht alle Homo-, Bi- und Transsexuellen nur aufgrund der Eheöffnung auf einmal vergessen, dass die Union jahrelang de facto die staatliche Diskriminierung ihrer Lebensweisen erhalten hat. Wobei sich mit Sicherheit auch einige eigentlich konservativ ausgerichtete Homosexuelle nun dafür entscheiden werden, der CDU ihre Stimme zu geben.

Für einige Konservative dürfte diese Meldung nur schwer zu verdauen sein. Angela Merkel gibt damit eine weitere Kernposition ihrer Partei auf. Nach Abschaffung der Wehrpflicht, Ausstieg aus der Atomenergie und Mindestlohn ist ihre CDU nun auch von der Betonung der Ehe als rein heterosexuelle Verbindung abgerückt. Nun mag dies vielleicht den einen oder anderen Wähler verschrecken, aber hier zeigt sich die Schönheit der Gewissensabstimmung: Die Union kann noch immer zum größten Teil gegen die Ehe für alle stimmen. Nur verhindern kann sie sie wohl nicht mehr.

Was bedeutet das für die Bundestagswahl?

Auch wenn die Abstimmung nun auf einen Versprecher Merkels zurückzuführen ist, ist sie wahltaktisch für die CDU trotzdem eher ein Gewinn. Grüne, FDP und SPD hatten die Einführung der Ehe für alle zur Bedingung für Koalitionsverhandlungen nach der Bundestagswahl gemacht. Ohne eine absolute Mehrheit zu erreichen, hätte die Union ihre Ablehnung daher sowieso bald aufgeben müssen. Durch die nun noch diese Woche erfolgende Abstimmung dürfte das Thema im Wahlkampf eine deutlich geringere Rolle spielen. Somit bietet die CDU ihren Gegnern einen Angriffspunkt weniger. Sie verliert zwar auch an Profil, aber unter Merkel rückte die Partei sowieso ein gutes Stück nach links. Besonders die Grünen, die seit Jahren vehement für die Gleichstellung von Ehe und eingetragenen Lebenspartnerschaften kämpfen, verlieren ein wichtiges Thema für den Wahlkampf.

Der SPD unter Martin Schulz ist mit diesem geschickten Manöver ein kleiner Sieg gelungen. Sie hat die Gelegenheit für einen Angriff auf die Kanzlerin gesehen und blitzschnell reagiert. Die Union dürfte sie damit überrumpelt haben, aber ob sich dieser Schwung in den Endspurt des Wahlkampfs retten kann, bleibt fraglich. Aktuelle Umfragen sehen die Union noch immer mit einem komfortablen Vorsprung vor den Sozialdemokraten.

Was also bleibt?

Einige Lehren lassen sich aus den Ereignissen ziehen. Zum einen: Auch Angela Merkel ist angreifbar. Auch ihr unterlaufen kommunikative Fehler, wenn auch selten, und die SPD ist agil genug um diese Fehler für sich auszunutzen. Zum anderen zeigt sich auch hier wieder Merkels Pragmatismus. Kernthemen ihrer Partei, auch solche, bei denen sie selbst „ein ungutes Bauchgefühl“ hat, können innerhalb kurzer Zeit aufgegeben werden, wenn es dem Wahlsieg dient. Das bedeutet nicht zwangsläufig, dass die gesamte Union in der gesellschaftlichen Gegenwart angekommen ist. Man muss nur einige Äußerungen von Volker Kauder oder Hans-Peter Friedrich lesen, um sich davon zu überzeugen.

Die Ehe für alle wird also kommen. Nicht als triumphales Referendum wie in Irland, aber wenigstens auch nicht mit Zwang verordnet vom Bundesverfassungsgericht. Es bleibt der schale Beigeschmack, dass die Union jahrelang die Diskriminierung eines großen Teils der Bevölkerung billigend in Kauf genommen hat, nur um dann aus taktischen Überlegungen vor der Wahl plötzlich die Möglichkeit der Gewissensentscheidung zu entdecken. Aber die Ehe für alle wird trotzdem endlich kommen. Somit können nicht-heterosexuelle Paare bald auch in Deutschland, was sie beispielsweise in Texas schon länger können: Heiraten. Das kann man durchaus feiern. Und Champagner schmeckt ja auch dann ganz gut, wenn er ein wenig schal ist.

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