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Erich Fried – Lyriker der Emanzipation und streitbarer Intellektueller

Erich Fried war eine Ikone der politischen Lyrik der Bundesrepublik ab den Sechzigerjahren bis zu seinem Tod 1988. Zu seinem 100. Geburtstag beleuchten Moshe Zuckermann und Susann Witt-Stahl das dichterische Werk des herausragenden Literaten und sein engagiertes Wirken als Marxist, Friedenskämpfer und Antifaschist. Zugleich liefert das Buch „Gegen Entfremdung“ eine Diagnose der dramatischen Defizite kritischer Theorie und Praxis in unserer Zeit.

Susann Witt-Stahl: Erich Fried galt in der Bundesrepublik ab den Sechzigerjahren bis zu Seinem Tod 1988 als Ikone der politischen Lyrik. Als marxistischer Intellektueller, der regelmäßig die zahlreichen Leichen im Keller des postfaschistischen Deutschlands ausgrub und mit ihnen eine Dauerpräsentation der vergangenheitspolitischen Schande veranstaltete, wurde er von seinen Anhängern als »Stören-Fried« verehrt und von seinen zahlreichen Gegnern als ebensolcher zum Teufel gewünscht. Nicht zuletzt auch, weil er mit seinen ideologiekritischen Sprachexperimenten und seinem Wortwitz den wachsenden Orwellianismus in der politischen Kultur der spätkapitalistischen Gesellschaft karikierte und damit dessen Urheber und Profiteure bloßstellte. Die größten Erfolge feierte er allerdings mit seiner Liebeslyrik, nicht zuletzt, weil in dieser das »Herz der herzlosen Zeit« pochte, wie es in seinem Gedicht Du heißt, und darin seine grenzenlose Menschlichkeit Ausdruck fand, mit der er der Liebe einen Erkenntnischarakter zusprach und besonders an die kämpfende Linke die Erwartung richtete, sich schon im Heute moralisch nicht mehr so zu verhalten, wie es der Mensch im Stande Der Unfreiheit tut, sondern wie er es nach seiner Befreiung tun müsste:

Zusätzliche Bedingung
Wichtig
ist nicht nur
dass ein Mensch
das Richtige denkt
sondern auch
dass der
der das Richtige denkt
ein Mensch ist.

Was könnte es noch und gerade in unserer Gegenwart sein, das seine Werke und sein Wirken noch anrühren könnten?

Moshe Zuckermann: Nun, es kommt darauf an, wer sich von seinem Schaffen angezogen fühlt. Man darf heute wahrscheinlich davon ausgehen, dass die allermeisten Deutschen eher nichts mit Frieds Marxismus und radikaler Politik- und Gesellschaftskritik am Hut haben. Jene, die sich von ihm angezogen fühlen, tun es wohl, weil sie seine Gesinnung teilen beziehungsweise das zunehmende Absterben dieser Gesinnung betrauern. Mit Fried haben sie einen herausragenden Vertreter ihrer Weltanschauung, der so brillant war, dass sie sich bei ihm gleichsam noch geborgen fühlen dürfen. Aber es mag da, gerade was seine Gedichte anbelangt, noch etwas eine Rolle spielen: Fried war ein Liebeslyriker allerhöchsten Ranges – ich scheue mich nicht, ihn mit Heine zu vergleichen –, der sich einer Vorstellung von Liebe verpflichtet sah, nach der sich die Menschen ein Leben lang sehnen. Eine Liebe, die sich klischiert-romantischer Schwärmerei entzieht, sie oft gar konterkariert, und dennoch voller Hingebung, ja zuweilen total ist.

Susann Witt-Stahl: Zu seinem Marxismus und seinen linksradikalen Positionen, die immer dann die Gemüter vor allem der bürgerlichen Rechten besonders erhitzten, wenn er sie in Form von provokativen Kommentaren zu konkreten tagespolitischen Ereignissen in die Öffentlichkeit trug, kam ja noch eine weitere Anschauung, nämlich ein kompromissloser jüdischer Humanismus, der schon zu seiner Zeit weitgehend nicht mehr existierte und heute völlig marginalisiert ist. Das passte gar nicht in die Landschaft einer BRD, die sich damals gerade mit einer »Wiedergutmachungspolitik« gegenüber dem Judenstaat Israel das Ticket für den Wiedereintritt in die Riege der »zivilisierten Nationen« erkauft hatte, um an der Seite der USA vor allem wirtschaftlich die Geschicke auf dem Globus mitzubestimmen. Fried betonte ja oft, dass er nicht stolz sei auf sein Judesein, weil es schließlich kein Verdienst sei, von jüdischen Eltern gezeugt worden zu sein, aber seine jüdische Identität war ihm keineswegs gleichgültig.

Moshe Zuckermann: Es ist in der Tat so, dass Judentum, wenn es nicht orthodox-religiös definiert ist, eigentlich schwer bestimmbar ist. Es stimmt, Judesein ist kein Verdienst, was es aber doch heißt, Jude zu sein, ist mitnichten ausgemacht. Zunächst, weil es selbst im Religiösen verschiedene, einander heftig bekämpfende Strömungen gibt: das orthodoxe nichtzionistische Judentum, das nationalreligiösen Zionismus und Messianismus miteinander verknüpfende Judentum sowie das Reformjudentum, welches das archaisch-traditionelle Judentum zu modernisieren trachtet. Wenn man aber vom Religi­ösen absieht, gibt es zudem das Judentum als Schicksalsgemeinschaft oder als weitgehend säkular lebensweltlich perpetuierte Tradition. Bedeutend für den hier erörterten Zusammenhang ist freilich jenes Judentum, das sein Selbstverständnis aus der Reaktion auf die geschichtliche Leiderfahrung der Juden bezieht. Der daraus sich bildende rigorose Humanismus besagt im Wesentlichen, dass der aus der Leiderfahrung Konsequenzen ziehende Jude keiner Gesinnung anhängen darf, die Weltanschauung und Praxis der Verfolger und Täter historisch reproduziert. Das Andenken der jüdischen Opfer, letztlich aber aller Opfer dieser Welt insgesamt, werde besudelt, wenn man sich mit der Haltung der Täter identifiziert. Nirgends bei Fried gewinnt dieses Grundpostulat seiner Gesinnung deutlicheren und unerbittlicheren Ausdruck als in seinem erschütternden Poem Höre Israel.

Susann Witt-Stahl: Ich denke, ein Leitmotiv seines gesamten Werks und ein zentrales Movens seines Schaffens war der von Adorno formulierte »neue kategorische Imperativ«: Die Menschen im Stande der Unfreiheit haben »ihr Denken und Handeln so einzurichten, dass Auschwitz nicht sich wiederhole, nichts Ähnliches geschehe«. Dessen eingedenkend hat er eine Sensibilität für dem Faschismus an der Macht entsprungene gefährliche Kontinuitäten und auch für die Alltagsbarbarei der kapitalistischen Gesellschaft im Normalzustand eingeklagt und beharrlich vor einer regelmäßig verdrängten Tatsache gewarnt: Die Bedingungen der Möglichkeit der Wiederholung sind keineswegs aus der Welt geschafft. So erzeugte auch jedes Anzeichen von mangelnder Wachsamkeit bei Antifaschisten, jeder Ansatz von Saturiertheit und Selbstgefälligkeit, besonders zur falschen Versöhnung mit den herrschenden Verhältnissen, großes Unbehagen bei ihm. Beispielsweise machte er in einer Notiz über die Feierlichkeiten zum »Tag der Befreiung« von 1985 darauf aufmerksam, dass Gedenken ohne das Eintreten für eine radikal andere politische Praxis letztlich nichts als ein leeres Ritual und damit eine Erscheinungsform des kalten Vergessens ist: »Es ist gut, das Dritte Reich überlebt zu haben, die Ermordeten und ihre Mörder, und wohlbehalten, was immer das heißen mag, angekommen zu sein in dieser heutigen Zeit. Aber solange die Machthaber an der Macht sind, die das Wettrüsten weitertreiben, und solange immer noch Atomraketen aufgestellt werden und solange Sprachregelungen der Wahrheit im Wege stehen und solange der Geist des Befehlens und des solchen Befehlen Gehorchens andauert und solange die, die dagegen kämpfen, verfolgt und verleumdet werden – hier nicht minder als dort –, ist das nicht Anlass genug zu einer Befreiungsfeier.«

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