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Der Kampf für einen modernen Islam und eine offene Gesellschaft

Warum schweigen die Muslime weltweit und demonstrieren nicht zu Hunderttausenden gegen Terroristen, die im Namen des Korans morden? Warum schauen sie tatenlos zu, wie ihre Religion von radikalen Fanatikern missbraucht wird? Warum gehen sie nicht gegen Rassismus auf die Straße und verteidigen lautstark ihre Rechte? Hassan Geuad gründete die Initiative „12thMemoRise“, um mit spektakulären Aktionen Antworten auf diese Fragen zu provozieren, und er geriet dadurch zwischen alle Fronten, denn Kritik von Muslimen am Islam ist in der islamischen Community noch immer tabu.

Der Anschlag vom 9/11 prägte die gesamte Welt, veränderte auch die gesellschaftliche Situation in Deutschland enorm. Insbesondere für die muslimischen Migranten hierzulande. Das Deutschland, das ich als irakisches Migrantenkind kannte, schien mir plötzlich fremd zu sein. Ich wurde von einigen Klassenkameraden in der Schule beschimpft und beleidigt. Selbst einer der Lehrer sagte zu mir: „Schau mal, was deine Leute da gemacht haben.“ Meine Leute? Mein Deutsch war damals in der Hauptschule noch zu schlecht, um etwas wirklich Gehaltvolles erwidern zu können. Dabei hätte ich mich gerne gewehrt und verteidigt, denn was hatte ich mit diesen Terroristen zu tun?

Von diesem Tag an merkte ich, dass man als Muslim – egal, wie man zur Gewalt steht oder wie man den Koran auslegt – pauschal kritisch beäugt, verachtet und sogar gehasst wird. Dumme Bemerkungen und rassistische Beschimpfungen gehörten von da an zum Alltag für uns. Wie gesagt, im Alter von elf Jahren konnte ich mich weder wehren, noch verstand ich die politischen Hintergründe. Alles, was ich spürte, war diese plötzliche und große Ablehnung von Menschen, die mich gar nicht kannten. Das zwischenmenschliche Vertrauen, das ich davor als eine Selbstverständlichkeit erfahren hatte, endete an einem einzigen Tag. Freunde von mir warnten mich plötzlich, dass die Geschwister einer guten Freundin „Nazis“ waren. Ich kannte das Wort davor nicht, sie erklärten es mir und mein Verhältnis zu besagter Freundin änderte sich automatisch. Die Nachbarn, die sonst bei uns klingelten, um meine kleine Schwester mit ihren Kindern zum Spielplatz mitzunehmen, kamen immer seltener. Neue Bekanntschaften wurden mit der Sorge angegangen, sie könnten trügerisch sein.

All das geschah aufgrund eines Ereignisses, das bis heute nicht genau aufgeklärt ist. Die soziale Kluft, die in der deutschen Gesellschaft entstand, wuchs von Jahr zu Jahr und mündete darin, dass radikale salafistische Gruppen und Pegida als Reaktion darauf entstanden sind. Besorgte Bürger, die pauschalisierend Angst vor den Muslimen haben, und gekränkte radikale Muslime, die dem Westen alles in die Schuhe schieben. Ein sehr ungesundes Klima herrscht seitdem.

Und dann kam der Terror nach Europa, von Charlie Hebdo und bis zu dem IS-Attentat in Wien am 2. November 2020. Und es stellen sich mehrere Fragen: Haben wir ein politisch-gesellschaftliches Konzept gegen den Islamismus? Haben die Muslime und ihre Institutionen eine andere Einstellung, ja gar Reaktion auf die aktuellen Anschläge? Nein. Es herrscht ein großes Schweigen, während in vielen Moscheen radikale Prediger und Lehren geduldet werden. Und das nutzen die Rassisten gnadenlos aus und verwenden genau dieses Schweigen als Argument für ihre Hetze. Vielleicht fragen sich einige, ob es ein offener Glaubenskrieg ist. Nein. Wir befinden uns mitten in einem islamischen Aufklärungskrieg, in den aber große Teile der Welt hineingezogen wurden. Es sind keine Expansionsversuche, sondern die letzten Atemzüge des radikal-politischen Islam. Die letzten Träume der konservativen Kräfte mit der Hoffnung auf einen Islamischen Staat. Sie übersehen dabei, dass der Islam eine dezentrale Religion geworden ist, die nicht unter einer einzigen autoritären Instanz steht. Der Islam ist so vielfältig wie seine Anhänger und passt sich, wie alle Religionen, der jeweiligen Geographie, Kultur und Tradition an.

So finden wir auf der Welt grob gesagt einen iranischen Islam, einen arabischen, türkischen, afrikanischen und natürlich auch einen westlichen Islam. Ja, es gibt einen Islam mit deutscher Prägung. Dieser wird von den islamischen Institutionen zwar ignoriert und boykottiert, aber es gibt ihn. Er zeigt sich in den Kompromissen, die wir in unserem Alltag eingehen, um in Deutschland zurechtzukommen. Um mit den anderen Bevölkerungsgruppen und ihren diversen religiösen und politischen Orientierungen leben zu können. Es entsteht eine Grauzone, in der jeder Moslem je nach Situation, Ort und Zeit individuell handelt. Intuitiv stellt er die deutschen Werte und Moral über seinen Glauben und versucht eine Lösung zu finden, die allen Seiten zu Gute kommt. Das ist eine menschlich wunderbare Prägung des Islams, die jedoch eine Gefahr für die konservativen Kräfte darstellt. Und wenn eine Gruppe oder ein Verein die Weichen für dieses neue Islamverständnis legt, dann ist es für sie eine Graswurzelbewegung, die auszurotten gilt. Solange wir diese Entwicklung nicht verstehen, werden wir weder den Terror bekämpfen können, noch die alten oder neuen Migranten verstehen, noch die gesellschaftliche Kluft in Deutschland schließen können.

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