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Worte zum Klingen bringen

Tags: doch dass musik

Im Rahmen der „Richard-Strauss-Tage 1995“ fand in Garmisch-Partenkirchen eine hochkarätig besetzte Gesprächsrunde statt: Moderiert von August Everding, diskutierten Marcel Reich-Ranicki und Joachim Kaiser ihre Standpunkte zu dem strittigen Verhältnis von Text und Musik in der Oper. Seit der spektakulären Oper von Antonio Salieri „Prima la musica, poi le parole“ aus dem Jahr 1786 blieb dieser Titel ein geflügeltes Wort in der Auseinandersetzung um das Verhältnis zwischen Musik und Wort. Lesen Sie zum Erscheinen von „Prima la musica, dopo le parole“  einen Textauszug aus dem Streitgespräch mit Marcel Reich- Ranicki,  Joachim Kaiser und August Everding.

August Everding:

Nun, eins, meine Herren, kann man Doch feststellen: Bei guten Musikwerken, über die sprechen wir ja jetzt, legt auch der Komponist Wert darauf, dass das, was wichtig ist, verstanden wird. Dann macht er das in einem Secco, aber wo die Musik die Sprache ergänzt und übersetzt, da brauche ich doch etwa bei einem Quartett, Quintett von Mozart die Sprache nicht mehr, da ersetzt doch die Musik die Sprache. Und wenn der Text verstanden werden muss, wegen des Wortwitzes, hat der Komponist ein Rezitativ, ist das richtig?

[…]

Joachim Kaiser:

Das ist falsch und zwar aus einem ganz einleuchtenden Grund. Wenn dem so wäre, wäre die Musik ja eine bloße Verdoppelung des Textes, dann wäre sie eigentlich nicht nötig, im Gegenteil. Ich halte es übrigens für falsch zu sagen, dass man den Monolog der Marschallin nicht versteht. Ich bin sehr dafür, dass Opern in deutschen Übersetzungen gesungen werden, weil tatsächlich kein Mensch Italienisch versteht oder gar Russisch. Aber dass man bei Richard Strauss die Melancholie der Marschallin im ersten Akt versteht, die hier fast ihren letzten Liebhaber hat, ist doch ziemlich eindeutig. Das geht ja aus dem Terzett am Schluss hervor und da gebe ich Ihnen Recht, das Terzett kann man nicht verstehen, weil drei zusammen singen. Verstehen heißt doch nicht, dass man jedes Wort heraushört, das verstehen Sie auf der Sprechbühne nicht, zumal heute nicht, wo Schauspieler heute nicht mehr sprechen können, sondern man versteht aber doch den Sinnzusammenhang, man versteht sehr viele Worte, man legt es sich zurecht. Und ich finde es eigentlich nicht zu viel verlangt, dass jemand, der in ein Kunstwerk vom Range des Rosenkavaliers geht  – und die Marschallin ist doch eine der Gestalten, die der Richard Strauss der Welt geschenkt hat  –, der kann sich doch vielleicht auch ein bisschen vorbereiten, verdammt noch mal. Das ist doch denkbar, dass man dann mal im Text nachliest, zumal wenn man es das zweite oder dritte Mal hört und immer die gleichen Stellen versteht und immer die gleichen nicht.

Marcel Reich-Ranicki:

Daraus wird nichts mit dem Vorbereiten, das gibt es nur in Deutschland. Theater und Oper sind schwere Arbeit, man muss erst alles genau lesen, mit dem Klavierauszug in der Hand. Das tun die Leute nicht, die lesen den Stern und nicht den Rosenkavalier. Ich glaube nicht, dass man damit rechnen kann. Und wenn jemand in ein Konzert geht, soll er vorher erst die Brahms-Partitur der Sinfonie zu Hause studieren? Daraus wird nichts.

[…]

Kaiser:

Moment. Ob man einen Text versteht, kapiert, das kann man nachprüfen, verstehen Sie? Wenn sie zum Beispiel ins Rheingold gehen und haben den Text überhaupt nicht gelesen, dann haben sie den langweiligsten Opernabend der Erde vor sich, denn sie werden tatsächlich nicht viel verstehen. Und dass das ein großes politisches Stück ist, darüber wie jemand zum Diktator wird, werden sie nicht merken.

Reich-Ranicki:

Aber die Musik ist trotzdem ganz gut zum Rheingold, die bereitet mir auch Spaß.

Kaiser:

Ja, aber das sind doch nur zwei Arien, Weibes Wonne und Wert und dann ist es schon aus. Nee, also die Musik alleine ist ohne Text schlecht. Aber Sie kommen doch auf die ganzen Differenzierungen nicht, Sie kommen doch nicht darauf  – darüber werden wir ja auch noch zu reden haben  – dass der Text manchmal etwas anderes sagt und die Musik geht unendlich darüber hinaus. Denken Sie mal beispielsweise an die Entführung aus dem Serail von Mozart, das finde ich immer ein tolles Beispiel: Da ist am Ende des zweiten Aktes der Belmonte und befreit die Konstanze und den Pedrillo und fragt die beiden dann: »Sagt mal, seid ihr eigentlich auch treu geblieben, das war doch hier ganz nett mit diesem Bassa Selim«, und die Blonde fragt den Pedrillo auch: »Sag mal, wie ist denn das gewesen?« Und da gibt es dann so einen richtigen Krach wie in der Operette, der Krach zwischen Liebespaaren, die kriegen eine Ohrfeige, dass sie so was fragten und so weiter. Und was macht die Mozartsche Musik dazu? Sie hat einen riesigen langsamen Choral. Das ist ein großartiges Quartett, da merkt man, da ist plötzlich die Frage offen, ob die Welt wirklich sinnvoll geordnet ist und ob Menschen lieben können oder nicht. Davon war bei dem Text nicht andeutungsweise die Rede. Aber das merken sie doch gar nicht, wenn Sie den Text nicht kennen und nicht verstehen.

Reich-Ranicki:

Alles sehr richtig und gilt alles für die Kritiker.

Das kannst du von einem Kritiker erwarten, nicht aber von dem größten Teil des Publikums. Es ist eine Überforderung des Publikums, immer wieder zu sagen: »Ihr müsst lernen, ihr müsst lesen, ihr müsst euch vorbereiten!« Kunst ist vor allem dazu da, Menschen Freude und Genuss zu bereiten. Und Mozart hat seine Opern geschrieben, damit die Leute ihren Spaß daran haben. Dass die meisten Leute die vielen Nuancen und Finessen in der Figaro-Partitur oder übrigens auch im Cosi-Libretto gar nicht verstehen, ist ja das Übliche, damit muss man doch rechnen.

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