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Anders Politik machen

Sahra Wagenknecht ist eine Ausnahmepolitikerin. Zuweilen wird sie heftig kritisiert, nicht selten auch aus den eigenen Reihen, oft genug auch persönlich angegriffen – und trotz allem bleibt sie unbeirrt auf ihrer politischen Linie. Bei kaum einem anderen Politiker ist dieser unbedingte Wille zu spüren, dieses Land zu verändern. Immer im Zentrum: die Soziale Frage und die Wirtschaftspolitik. Dabei bleibt Sahra Wagenknecht ganz nah an den Wählern, der Bevölkerung, vor allem aber bei den Schwachen und Schwächsten dieser Gesellschaft. Was befähigt diese Frau, so hochengagiert diesen Job zu machen? Was genau sind ihre politischen Vorstellungen? Wie und unter welchen Umständen fand sie in den politischen Betrieb? Woher bekommt sie Anregungen und was nährt ihr politisches Verständnis? Davon berichtet sie im Gespräch mit Florian Rötzer in ihrem bislang persönlichsten Buch. Ein Auszug.

Rötzer: Mit den beiden hauptsächlichen Themen im Nacken – sozialer Gerechtigkeit in der Innen- und dem vermeintlichen „Kampf gegen den Terror“ in der Außenpolitik – machen Sie Politik und prangern in beiden Bereichen die Kurzsichtigkeit der anderen Politiker an. Haben Sie den Eindruck, dass die Kollegen nicht mehr dazu kommen, den Blick nach außen zu richten, und die Muße dazu haben, neue Ideen zu sammeln?

Wagenknecht: Das mag individuell unterschiedlich sein. Aber selbst wenn der Blick nach außen gerichtet wird, ist ja die Frage, in wessen Interesse man das tut. Wenn Frau Merkel durch Afrika reist und die Länder unter Druck setzt, ihre Zölle noch weiter zu senken und damit lokale Anbieter noch ungeschützter der Konkurrenz durch unsere subventionierten Agrarexporte auszusetzen, obwohl sie wissen muss, dass das für die örtliche Wirtschaft den sicheren Ruin bedeutet, ist das ganz sicher keine Politik im Interesse der armen Länder. So entstehen vor Ort keine Perspektiven, sondern sie werden zerstört.

Es gibt wohl generell zwei Typen von Politikern: Es gibt einerseits die, die aus Überzeugung Politik machen. Sie sind in die Politik gegangen, weil sie etwas erreichen wollen. Das kann sehr Unterschiedliches sein, und natürlich muss man ihre Ziele nicht für richtig halten. Aber mit diesen Politikern bin ich immer besser klargekommen, weil man bei ihnen weiß, woran man ist. Sie sind auch in der Regel eher bereit, sich zu korrigieren, wenn eine bestimmte Politik immer wieder zu Fehlschlägen führt.

Es gibt aber andererseits leider immer häufiger den Typus, der irgendwie in die Politik gespült wird. Er landet dann mehr oder weniger zufällig in einer bestimmten Partei, deren Ansichten er dann zwangsläufig vertritt. Und wenn die Partei ihre Ansichten ändert, ändert er sie mit. Politik ist für ihn ein Job, der eine relativ gute soziale Absicherung bietet, das wichtigste Ziel ist daher, sich persönlich die nächste Wiederwahl zu sichern, vielleicht auch an der eigenen Karriere zu arbeiten, aber das war’s dann. Für diese Politiker gibt es kein Anliegen, für das sie brennen, sie sind außerordentlich flexibel und machen jede Wendung des Zeitgeistes mit. Oder sie halten eben auch an einer erkennbar fatalen Politik fest, solange es opportun erscheint oder von einflussreichen Interessengruppen gewollt und honoriert wird.

Die übelste Ausprägung dieses Typus ist der käufliche Politiker, der bestimmte Entscheidungen durchboxt, weil er sich damit nach seinem Ausscheiden aus der aktiven Politik eine lukrative Karriere in den profitierenden Unternehmen sichert. Da winkt dann endlich das richtig große Geld. Diese Korruption nach dem Motto „bezahlt wird später“ nimmt zu. Es ist eben immer die Frage, ob man – politisch – wirklich etwas erreichen will. Dann muss man natürlich auch daran arbeiten, dass man seine inhaltliche Substanz nicht verliert. Will man nur irgendwie mitspielen oder funktionieren, ist das anders. Wem das reicht, der kommt natürlich auch mit dem üblichen Hamsterrad der Termine ganz gut klar.

Rötzer: Hat man aber wirkliche Präsenz nicht nur dann, wenn man Spitzenpolitiker und kein Hinterbänkler ist?

Wagenknecht: Es gibt in allen Parteien Politiker, die sich für ganz konkrete Dinge in ihrem Wahlkreis oder der Region, für die sie Verantwortung tragen, einsetzen. Sie machen dort ihre Arbeit und haben da auch tatsächliche Anliegen. Sämtliche Politiker als korrupte Idioten abzuqualifizieren ist eine bösartige Verfälschung. Und sie bedient bestimmte Interessen: Politiker sind nun mal diejenigen, die die öffentliche Hand vertreten. Wer sie allesamt für unfähig erklärt, ist schnell bei der Position „privat vor Staat“, also Privatisierungen öffentlicher Dienste, weil die Privatwirtschaft angeblich fähiger, effizienter, besser ist. Und natürlich: Wenn Politiker generell nichts taugen, taugt auch die parlamentarische Demokratie nichts und ist zum Abschuss freigegeben. Wir brauchen zwar dringend mehr direkte Demokratie, mehr Entscheidungen direkt von der Bevölkerung, aber wer das Parlament gleich ganz als nutzlose Schwatzbude abwertet, führt wohl kaum Gutes im Schilde. Zur Wahrheit gehört allerdings auch: Es sind die viel zu vielen rückgratlosen und teilweise korrupten Politiker, die die Hauptverantwortung dafür tragen, dass die repräsentative Demokratie so in Misskredit gekommen ist und Demokratieverachtung Zulauf hat.

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