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Und dann steht einer auf und öffnet das Fenster

Diesmal war es eindeutig der Titel, der mich auf das Buch aufmerksam werden ließ. Er brachte in mir etwas zum Klingen. Hören Sie das auch?

„Und dann steht einer auf und öffnet das Fenster.“

Es gibt so viele Situationen, wo man keine Worte mehr hat, wo der Mensch mit seinem Latein am Ende ist. Eine bedrückende Stille … und dann Steht Einer Auf

Ich stellte mir vor, dieses Buch müsste so ähnlich sein. Als ob mal jemand einfach ein Fenster aufmacht.

Nun, es ist ein Roman und er spielt im Milieu der Sterbehilfe und Hospizvereine. Es geht um Tod – und um den persönlichen Umgang damit. Ein Thema, dass man nicht unbedingt mit Belletristik in Verbindung bringt. Doch Susann Pásztor ist es genial gelungen, dieses schwere und bedrückende Thema in eine Geschichte einzubinden, die äußerst locker und unterhaltsam daherkommt.

Es treten nur wenig Personen auf, die uns alle auf irgendeine Weise schnell vertraut werden und allesamt sympathisch sind. Fred Wiener, Ende vierzig und leicht übergewichtig, ist alleinerziehender Vater von Philipp, 13 Jahre, zu klein für sein Alter, der lieber Gedichte schreibt, als mit Gleichaltrigen abzuhängen. Phil, wie er neuerdings genannt werden möchte, hat einen Freund, Max, das reicht ihm völlig. Seine Mutter lebt mit neuem Ehemann auf einer Farm in Schottland, wo Phil die Ferien verbringen muss, obwohl ihm Natur und Tiere nicht ganz geheuer sind.

Karla Jenner-García lebt allein in einem Mehrparteienwohnhaus. Ihre Kontakte beschränken sich auf gelegentliche Begegnungen im Treppenhaus mit dem Hausmeister, Leo Klaffki, und Rona, eine Serviererin aus dem Café nebenan, die ihr ungefragt Tüten mit Lebensmitteln vor die Haustür stellt.

Karla leidet an Krebs im Endstadium und Fred wird ihr „ambulanter Sterbebegleiter“. Fred hat dazu einen Kurs absolviert und nun seinen ersten Einsatz. Die Handlung beginnt mit der ersten Begegnung der beiden. Karla ist keineswegs ein umgänglicher Mensch. Sie weiß, dass sie in absehbarer Zeit sterben wird und hat keine Lust, sich in irgendeiner Weise zu verstellen oder höfliche Konversation zu betreiben.

„»Herr Wiener? … Darf ich Sie fragen, warum Sie das machen? Was bringt Sie dazu, fremde Leute zu besuchen, die bald sterben werden?« … »Ich hab mal eine Fernsehsendung über Hospizarbeit gesehen«, sagte er. »Ich wusste sofort, dass ich das auch machen wollte.«
» Nehmen die denn jeden?« …

»Was ich davon habe? Vielleicht möchte ich lernen, es auszuhalten, dass Menschen sterben.«

»Sie wollen das erst lernen? Sie können das noch nicht?«, fragte Karla. …

»Es ist mein erstes Mal.« …

«Was für ein Zufall. Bei mir ist es auch das erste Mal.«“

Hier treffen also Charaktere aufeinander, die aus ganz verschiedenen Welten kommen. Karla kann man sicher zu den Altachtundsechzigern zählen, die früher auf Rockkonzerten abgehangen haben. Fred dagegen lebt ein ziemlich biederes Leben und hat Klaras spitzen Kommentaren nicht viel entgegenzusetzen. Sie passen also überhaupt nicht zusammen. Klara zieht sich zurück, Fred muss diese Niederlage in seiner Hospizgruppe schmerzlich aufarbeiten.

Susann Pásztor während einer Lesung auf Der Leipziger Buchmesse 2017  ©e_mager

Hier wäre die Geschichte schon am Ende, wäre da nicht Phil, der zu Klara einen ganz anderen Zugang findet. Und das macht den Roman zu etwas ganz Besonderem. Wir begleiten die so ganz verschiedenen Personen und wie sie aneinander wachsen und sich entwickeln. Vom Fortgang der Handlung will ich nichts weiter verraten, aber wie Susann Pásztor es schafft mit Leichtigkeit und sicherem Gespür für echte Dialoge am Thema dranzubleiben, ist bewundernswert.

Ihre Erzählform ist die dritte Person, die Kapitel für Kapitel die Sicht des jeweiligen Protagonisten einnimmt. Zwischen die Kapitel werden Listen von Karla eingestreut, in denen sie nach Art eines Gedankenprotokolls frei assoziert.

Lesen Sie dieses Buch! Keine Angst vor dem schweren Thema! Es ist Zeit, das Thema Alter, Tod und menschenwürdiges Sterben nicht weiter auszuklammern und zu verschweigen. Je mehr wir uns alle damit beschäftigen, um so leichter wird es in Zukunft sein, Hilfe zu finden und anzubieten.

Ein Roman, in dem es auch viel zu lachen gibt, kommt da gerade recht.


Ich hatte das große Vergnügen, Frau Pásztor persönlich auf der Leipziger Buchmesse zu treffen. Sie las einige Passagen aus ihrem Buch und erzählte ansonsten frei von ihren eigenen Erlebnissen. Sie hat nämlich genau wie Fred Wiener einen Kurs zur ehrenamtlichen Sterbebegleitung gemacht und kann deshalb so authentisch und unverkrampft berichten.  (Link)


Einsortiert unter:Buchtipp Tagged: Hospiz, Humor, Krankheit, Lebensfragen, Schicksal, Sterbebegleitung, Tod


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